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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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ist wiederum nicht ganz so weit an der Wahrheit vorbei.
    Mit dem Uniontheater gleichsam untrennbar verbunden ist die legendäre Dönninghaus-Currywurstbude, an der es Mitte der Sechzigerjahre beinahe zu einem Zerwürfnis gekommen wäre, das meine ganze Existenz unmöglich gemacht hätte, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Im Laufe des Jahres 1964 hatten sich meine Eltern in der Tanzschule Bobby Linden kennengelernt. Die Tanzschule warb damals angeblich auf Bochumer Straßenbahnen mit dem Slogan »Tanz mit B. Linden!« Was von weitem allerdings aussah wie »Tanz mit Blinden«.
    Mein späterer Vater lud meine zukünftige Mutter nach einer Phase des Anstands in ein Café zu Kaffee und Kuchen ein. Man plauderte und fand sich gegenseitig hinreichend nett. Doch als es ans Bezahlen ging, hatte mein Vater angeblich kein Geld dabei, sodass meine Mutter einspringen musste. Die Geschlechterverhältnisse waren noch nicht in jene Phase eingetreten, in der es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass die Frau den Mann einlädt, also war meine Mutter nicht sonderlich amüsiert. Mein Vater entschuldigte sich und gelobte Besserung.
    Vor dem Café verabschiedete man sich und stellte gegenseitig ein weiteres Treffen in Aussicht. Meine Mutter machte noch ein paar Besorgungen, kam irgendwann am Uniontheater vorbei - und traute ihren Augen nicht: Der gutaussehende Mann in dem dunklen Anzug, der vorhin behauptet hatte, keinen Pfennig in der Tasche zu haben, vertilgte mit großem Genuss eine Currywurst extra scharf. Meine Mutter stellte ihn zur Rede, es kam zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf mein Vater ziemlich kleinlaut wurde. Noch zwanzig Jahre später, wenn es auf Familienfeiern etwas lockerer wurde, holte meine Mutter diese Geschichte hervor, um meinen Vater in die Defensive zu bringen - etwa wenn es darum ging, wer fahren musste und wer noch was trinken durfte.
    Was meine Mutter dazu bewogen hat, diesen Fauxpax meines Vaters wegzustecken, kann ich nur vermuten. Vielleicht fand sie es für eine spätere Verbindung hilfreich, immer ein bisschen was gegen ihn in der Hand zu haben. Was meinen Vater da geritten hat, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht wollte er mit Investitionen erst mal vorsichtig sein, bevor er wusste, welche Dividende sie brächten. Ein gewisser Pragmatismus war immer eine ausgeprägte Eigenschaft unserer Sippe.
    Übrigens trafen sich die beiden in den folgenden Wochen ziemlich oft und besuchten auch diverse Male das Uniontheater. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich meine Existenz nicht der letzten Reihe verdanke. Wie ich anderenorts schon mal ausgeführt habe, nannte mein Vater mich nie ein »Kinokind«, sondern immer ein »Haldenkind«. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
     

Helden
    Wenn ich nicht mehr weiterweiß, fahre ich in Bochum die Alleestraße stadtauswärts, biege, vorbei an dem Gelände »City-West«, wo auch die Jahrhunderthalle steht, oben am Hochhaus der Kruppverwaltung links ab in die Kohlenstraße, dann, vorbei an den Resten des ehemaligen Heusnerviertels, wieder rechts, wo sich neben dem Ascheplatz des SV Germania die Kleingartenanlage Engelsburg e.V. erstreckt. Ich gehe zu Theo, dem alten Gartennachbarn meiner Eltern, weil Theo in seinem grauen Hausmeisterkittel alles weiß: wann man die Rosen beschneidet und die Tulpenzwiebeln in die Erde bringt, wer die nächste Wahl gewinnt und wieso Deutschland nicht Weltmeister wird.
    Letzteres hat er mir schon letztes Mal erzählt, und seine Begründung war abenteuerlich: »Die werden nich Weltmeister, weil ich dat dumme Gelaber nich mehr hörn kann!«
    »Was hat das denn damit zu tun?«, wollte ich wissen.
    »Ach hör doch auf«, machte Theo weiter, »die einen labern rum, als wärnse schon Weltmeister, und die andern tun so, als war dat unmöchlich! Ich kann dat nich mehr hörn, ehrlich! Getz packense sich anne Fott, weilse n paar Spiele innen Sand gesetzt hamm! Abba früher hamm die doch auch acht-zich Prozent scheiße gespielt! Dat will nur heute keina mehr wissen.« Und dann wurde es wirklich wichtig, was ich daran erkannte, dass Theo ins Hochdeutsche wechselte - oder es wenigstens versuchte: »Der deutsche Fußball war dem südamerikanischen schon immer unterlegen! Wir gewinnen nicht, weil wir gut sind, sondern weil die Samba-Tänzer n schlechten Tach hamm! Und in den letzten Jahren hammwa au noch den Anschluss an die andern verpasst!«
    Heute suche ich Theo auf, weil ich wissen will, wie es in Deutschland um das Thema »Helden« bestellt

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