Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 7
Inhalt
Rätselhafter und grauenvoller Überfall
(Bombay, eigener Bericht)
In der Nacht vom zweiten auf den dritten November 1851 ereignete sich erneut ein unerklärliches Spektakel, das nicht nur die Provinz Maharashtra, sondern ganz Britisch-Indien auf das Tiefste erschütterte.
Unweit der Eisenbahnlinie Chandrapur – Bombay befindet sich am Ufer des Flusses Purna eine Flugapparate-Fabrik der Middleton Ltd. Das Gelände wird nach Einbruch der Dunkelheit durch einheimische Wachmänner kontrolliert. Der erfahrene Wächter Bujar P. (44) hörte verdächtige Geräusche. Er konnte noch Alarm auslösen, wurde aber wenig später von einer unbekannten Kreatur angegriffen. Die Bestie zerstörte den massiven Stacheldrahtzaun, mit dem das Fabrikgelände umfriedet war. Bujar P. überlebte die Attacke schwerverletzt. Einige seiner Kameraden kamen ihm zu Hilfe und schossen auf das Monster. Doch eine erkennbare Wirkung blieb aus. Der Wachtleiter verständigte per Morsetelegramm die britische Garnison im nahegelegenen Fort Khadwa. Es wurde sofort eine berittene Abteilung in Marsch gesetzt, um den bedrängten Wächtern beizustehen.
Aber als die Soldaten der 11. Lancaster-Dragoner vor Ort eintrafen, war die Produktionsstätte durch das Ungetüm schon fast vollständig zerstört worden. Die Briten eröffneten mit schweren Waffen das Feuer, doch die Bestie zeigte vorerst keine Reaktion. Endlich brach sie ihren Überfall ab. Fünf schwer verwundete Wächter und Soldaten – das ist die Bilanz der Schreckensnacht von Maharashtra. Dabei handelt es sich nur um den bisher letzten in einer ganzen Reihe von Vorfällen, die von abergläubischen Einheimischen einem unbesiegbaren Fabelwesen zugeschrieben werden.
Fortsetzung auf Seite 11.
Katherine Fenton runzelte gereizt die Stirn, nachdem sie diese Zeitungsmeldung aus den Illustrated London News gelesen hatte. Kate kannte sich gut aus mit Flugapparaten, deshalb hatte sie den ersten Teil des Berichts über die Middleton-Fabrik in Indien neugierig gelesen. Sie hätte gern das Ende der Geschichte erfahren, aber auf die Seite 11 konnte sie nicht hoffen. Ihr fehlte der Rest der Zeitung.
Kate machte nämlich gerade Pause und genehmigte sich eine Portion Fish and Chips. Das fettige Essen wurde traditionell in eine Zeitungsseite eingewickelt serviert, und auf eben diesem Fetzen Papier eines Revolverblattes hatte sie soeben von der Existenz der geheimnisvollen Bestie erfahren.
Der Zeichner, der den Pressebericht bebildern sollte, hatte seiner Phantasie offenbar völlig freien Lauf gelassen. Obwohl das Ungetüm von dem Journalisten überhaupt nicht beschrieben wurde, hatte der Künstler eine Art riesigen Höllenhund zu Papier gebracht, der einen am Boden liegenden Inder mit Vollbart und Turban beißen wollte, während im Hintergrund die tapferen Dragoner mit erhobenen Säbeln und hoch zu Ross bereits zu Hilfe eilten.
Kate wusste aus leidvoller Erfahrung, dass Reporter es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahmen. Sie selbst war schon öfter Zielscheibe von hämischen Artikeln der Londoner Zeitungen gewesen. Im Jahr 1851 war es noch immer außergewöhnlich, wenn eine junge Frau Eigentümerin und Pilotin eines dampfbetriebenen Drehflüglers war. Außerdem vergaß man Kate mit ihren langen roten Korkenzieherlocken und ihrem aufbrausenden Temperament nicht, wenn man sie einmal erlebt hatte. Sie galt als schillernde Figur. Man kannte sie unter dem Spitznamen Tinker-Kate, den sie ihren Fähigkeiten als Mechanikerin verdankte. Sie war es also gewohnt, dass in den Zeitungen mehr oder weniger frei erfundene Geschichten über sie standen.
Doch dieser Bericht aus Britisch-Indien faszinierte Kate wirklich. Während sie noch an ihrem Backfisch und ihren Fritten kaute, überlegte sie, ob wohl etwas Wahres an dieser Geschichte war.
In der Vergangenheit hatte sie selbst gegen übernatürliche Wesen – nämlich Vampire – gekämpft. Bei diesem Abenteuer hatte sie zwar Kopf und Kragen riskiert, aber glücklicherweise auch ihren jetzigen Verlobten James Barwick kennengelernt. Kates Herz klopfte schneller, wenn sie nur an ihn dachte. Obwohl sie jetzt schon einige Monate mit ihm zusammen war, hatte sich ihre Verliebtheit noch nicht verflüchtigt. Sie war noch genauso hin und weg wie am ersten Tag. Obwohl sich Kate nach außen hin gern rau und ruppig gab, bewahrte sie sich ihre romantischen Gefühle tief in ihrem Inneren.
Wie schade, dass James gerade jetzt nicht bei ihr sein konnte! Wie schön wäre es,
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