Raecher des Dunklen Imperiums
klaren Gedanken mehr fassen konnte und kaum noch wußte, wer er war.
Doch da war er plötzlich jener Dorian Hawkmoon, Herzog von Köln, der im Silberhelm mit dem Schwert der Morgenröte kämpfte, dem das Rote Amulett über der Brust hing und der das Schwarze Juwel in seiner Stirn eingebettet hatte.
Er war wieder in der Schlacht von Londra.
Und er dachte seine neuen und alten Gedanken zusammen, während er sein Pferd mitten in das Getümmel trieb. Fast unerträglichen Schmerz empfand er in seinem Kopf, und er wußte, daß das Schwarze Juwel an seinem Verstand fraß.
Überall um ihn kämpften die Männer. Die gespenstische Legion der Morgenröte, die ein rosiges Glühen ausstrahlte, schlug sich durch Krieger in Wolfs- und Geiermasken. Alles schien drunter und drüber zu gehen. Durch seine schmerzbetäubten Augen konnte Hawkmoon kaum sehen, was vor sich ging. Er erkannte zwei oder drei seiner kamarganischen Krieger und sah zwei oder drei der Spiegelhelme mitten in diesem Hexenkessel. Er wurde sich bewußt, daß sein eigener Schwertarm sich hob und senkte, hob und senkte, während er die Krieger des Dunklen Imperiums zurücktrieb, die von allen Seiten auf ihn eindrängten.
„Graf Brass", murmelte er. „Graf Brass." Er erinnerte sich, daß er unbedingt seinen Freund hatte erreichen wollen, aber er wußte nicht mehr so recht, weshalb. Er sah die barbarischen Krieger der Morgenröte mit ihren bemalten Gesichtern, ihren Hakenkeulen und den spitzen Lanzen, sah, wie sie die geschlossenen Reihen der Soldaten des Dunklen Imperiums niederrannten. Er blickte sich um, um zu sehen, welcher der Spiegelhelmträger Graf Brass war.
Doch immer schlimmer wurde der Schmerz in seinem Kopf. Er keuchte und wünschte sich, den Helm vom Schädel reißen zu können, aber er hatte in seinem wütenden Kampf gegen die auf ihn Eindringenden keine Hand frei.
Dann sah er etwas golden blitzen und wußte, daß es der Messinggriff von Graf Brass' Schwert war. Auf ihn trieb er nun sein Pferd zu.
Der Mann im Spiegelhelm und der Messingrüstung kämpfte gegen drei hohe Lords des Dunklen Imperiums. Hawkmoon sah ihn mutig mit gespreizten Beinen, ohne Pferd, im Schlamm stehen, während die drei Tierlords - Hund, Ziege und Stier -auf ihren Rossen auf ihn einstürmten. Er sah Graf Brass mit dem Schwert nach den Beinen der Pferde seiner Gegner schlagen. Er sah Adaz Promp direkt vor Graf Brass' Füße stürzen, und sah, wie der granbretanische Kriegsherr den Tod durch Graf Brass' Klinge fand. Er sah Mygel Holst um sein Leben flehen, und sah, wie sein Kopf von den Schultern flog. Nun war von den dreien nur noch Saka Gerden im schweren Stierhelm am Leben. Er erhob sich aus dem Schlamm und schüttelte den Kopf, als der Spiegelhelm ihn blendete.
Weiter bahnte Hawkmoon sich einen Weg durch das Getümmel. „Graf Brass!" schrie er. „Graf Brass!"
Obgleich er wußte, daß dies nur ein Traum war, eine verzerrte Erinnerung an die Schlacht von Londra, empfand er doch den Zwang, seinen alten Freund zu erreichen. Doch noch ehe er an seiner Seite war, riß Graf Brass den Helm von seinem Kopf und stellte sich Saka Gerden ohne ihn zum Kampf. Und schon hieben die beiden aufeinander ein.
Hawkmoon war nun schon ganz nahe. Und während er sich automatisch gegen seinen eigenen Angreifer wehrte, kannte er nur ein Ziel, zu Graf Brass zu gelangen.
Da sah Hawkmoon einen Reiter vom Ziegenorden mit der Lanze in der Hand von hinten auf Graf Brass einstürmen. Hawkmoon schrie, gab seinem Pferd die Sporen und stach das Schwert der Morgenröte tief in die Kehle des Ziegenreiters, gerade als Graf Brass Saka Gerdens Schädel spaltete.
Hawkmoon schob den toten Ziegenkrieger aus dem Sattel und rief:
„Ein Pferd für Euch, Graf Brass."
Der Graf grinste Hawkmoon dankbar an und schwang sich auf den Rücken des Rosses. Sein Spiegelhelm blieb vergessen im Schlamm liegen.
„Danke!" brüllte er nun durch den Schlachtenlärm. „Wir müssen zusehen, daß wir uns für den Endkampf neu formieren."
Ein irgendwie merkwürdiges Echo hing seiner Stimme nach. Hawkmoon schwankte im Sattel, als der Schmerz durch das Schwarze Juwel immer schlimmer wurde. Er hielt in dem Getümmel Ausschau nach Yisselda, ohne sie jedoch zu finden.
Sein Pferd galoppierte immer schneller, und der Schlachtenlärm blieb hinter ihm zurück. Und dann saß er überhaupt nicht länger auf seinem Rücken. Der Wind hatte ihn erfaßt. Ein kräftiger, kalter Wind, wie der Mistral der Kamarg.
Der Himmel verdunkelte sich.
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