Raketenmänner (German Edition)
ging frühstücken.
Im Frühstücksraum saßen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und plauderten. Sie hoben die Köpfe, als Frohnberg hereinkam, grüßten kurz, er nickte zurück. Sie wandten sich alle wieder ihren Brötchen, ihrem Rührei oder ihrem Müsli zu.
Ritter hatte ihm einen Platz freigehalten. Frohnberg saß gern am Fenster, hinter sich möglichst nur die Wand, vor sich den ganzen Raum, seitlich das Fenster. Er sah gern, wer auf ihn zukam. Meistens waren es Menschen, die etwas von ihm wollten. Das wurde Frohnberg manchmal ein bisschen zu viel, aber er ließ es sich nicht anmerken. Insgeheim wünschte er sich, dass mal jemand auf ihn zukäme und sagte: Ich habe da etwas für Sie, das wird Ihnen gefallen! Und dann gefiel es ihm wirklich!
Frohnberg kam mit Ritter nicht klar. Ritter war immer freundlich, redete einem nach dem Mund, hatte keine eigene Meinung. Das hatte etwas Hündisches. Als wäre Frohnberg sein natürliches Herrchen, aber diese Rolle hatte Frohnberg nie angenommen. Er wollte nicht Herrchen sein, auch wenn ihm das keiner abnahm. Irgendwann war mal Schluss mit dem Entscheiden und dem Richtungvorgeben. Zu Hause kam er damit sowieso nicht durch.
Frohnberg befürchtete, dass Ritters Vortrag morgen früh ein Reinfall werden würde. Er hatte ihn bei solchen Gelegenheiten schon erlebt, da hatte Ritter ungelenk und fahrig gewirkt.
Er warf einen Blick aus dem Fenster. Auf der Straße waren zwei Jugendliche weder in der Schule noch bei der Arbeit. »Ganz schön was los hier«, sagte er und nahm einen Schluck Kaffee. Er hatte ganz vergessen, sich am Büfett etwas zum Frühstück zu besorgen. Es passierte ihm in letzter Zeit öfter, dass er das Essen vergaß. Er dachte darüber nach, Ritter zu schicken, ging schlussendlich aber doch selbst. Er holte sich Früchtemüsli mit fettarmer Milch. Ritter hatte ein angebissenes Brötchen vor sich liegen, dem er keine Beachtung mehr schenkte, als traute er sich nicht, in Frohnbergs Gegenwart Nahrung aufzunehmen.
»Essen Sie doch«, sagte Frohnberg.
Ritter sah ihn verwundert an. In seinem Gesicht arbeitete es. Er griff nach dem Brötchen und biss unsicher hinein.
Frohnberg überlegte, dass es vielleicht Ritters Arm gewesen war, den er vorhin im gegenüberliegenden Zimmer gesehen hatte.
»In welcher Etage hat man Sie eigentlich untergebracht?«, fragte er.
»In der sechsten.«
»Also auch ein Nichtraucherzimmer.«
»Ja, das war mir wichtig.«
Ohne großen Appetit würgte Frohnberg sein Müsli hinunter. Ritter kämpfte mit seinem Brötchenrest, kaute ewig darauf herum und wischte sich umständlich die Mundwinkel ab. Frohnberg fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Überall Müslireste. Um Ritter nicht ansehen zu müssen, warf er noch einen Blick auf die Straße. Die beiden Jugendlichen hatten ihren Spaß. Sie lachten, schlugen sich gegenseitig auf die Schulter und machten sogar ein paar Tanzschritte.
Frohnberg hasste es, hier zu sitzen. In einem Hotel, mit lauter Leuten, mit denen er privat nichts zu tun haben wollte.
Er hasste es, Chef zu sein. Der Chef und er, das waren zwei Personen.
Am meisten hasste er das Gerede. Ständig musste man Antworten herausrücken, wie Geld bei einem Überfall. Oft war da aber gar nichts mehr. Antworten-Insolvenz. Doch das durfte er sich nicht anmerken lassen.
Er musste an einen Satz aus einem Roman denken. Er las nicht viele Romane, konnte sich auch an diesen nicht mehr richtig erinnern, aber dieser eine Satz hatte es ihm damals angetan: Ich wäre jetzt gern weit weg von hier.
Als Kind hatte er sich vorgestellt, zur See zu fahren. Mit sechzehn hatte er versucht, ein Gedicht zu schreiben:
An der Reling stehen
Und meilenweit nur Wasser sehen.
Mehr war ihm aber nicht eingefallen. Er hatte Der Seewolf gesehen, mit Raimund Harmstorf als Wolf Larsen, der mit bloßer Hand eine rohe Kartoffel zerquetschen konnte. Er wäre gerne Wolf Larsen gewesen, auch wenn der blind und einsam endete.
Er hatte keine romantischen Vorstellungen von der Seefahrt mehr. Manchmal las man von Piraten, aber die hatten so gar nichts von Burt Lancaster in Der Rote Korsar . Ein Haus am Meer – das wäre es. Alles selbst machen, kein Chef mehr sein. Antworten nur noch im Notfall geben oder wenn man welche hatte.
Er sah auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis zum Neun-Uhr-Meeting, auf dem er allen erklären würde, wie es weiterging. Er sagte zu Ritter, man sehe sich ja gleich, und stand auf.
Als er auf sein Zimmer kam, stellte er fest, dass
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