Raketenmänner (German Edition)
Das Besondere
Kamerke seufzte. Es musste ihm doch gelingen, wenigstens einmal im Leben eine Frau zu betrügen. Und der richtige Zeitpunkt war genau jetzt. Immerhin hatte die, mit der er verheiratet war, vorgelegt.
Er beugte sich vor und schüttelte die Kissen in seinem Rücken auf. In Hotels bekam man einfach keine ordentlichen Kopfkissen. Immer waren sie zu dünn, und man musste das Ersatzkissen aus dem Schrank dazunehmen. Wenn überhaupt eines da war. Unter den Decken war es immer zu warm. Sowieso waren Hotels überheizt. An den Kissen wurde gespart, damit sie mehr Geld fürs Heizen hatten, oder was?
Im Fernsehen lief eine Talkshow. Kamerke hatte keine Ahnung, worüber da geredet wurde. Der Fernseher lief nur, damit es im Zimmer nicht so still war. Und dieses ganze Gerede führte doch zu nichts.
Er schaltete ein Programm weiter, wo gerade ein Kriminalfilm begann. Ein Mann lag in einer Koje und ging in Flammen auf, fuhr hoch, schrie und fiel nach vorne. Eine Viertelstunde später schoss mit leichtem Blubbern eine Leiche an die Oberfläche eines Flusses, eine verkohlte Hand emporgereckt. Was dazwischen passiert war, hatte Kamerke nicht mitbekommen. Und überhaupt: Trieben Wasserleichen nicht eher langsam nach oben? Er blieb nur deshalb an dem Film hängen, weil da eine blonde Polizistin beteiligt war, die er nicht unattraktiv fand.
Was ihn zu seinem Thema zurückbrachte.
Er war sechsundfünfzig Jahre alt und den Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, immer treu gewesen. Welcher Mann konnte das schon von sich behaupten? Jetzt war er seit fünfzehn Jahren verheiratet, hatte vielleicht nur noch weitere fünfzehn Jahre vor sich und fand, es sei an der Zeit, eine neue Erfahrung zu machen.
Kurz vor Mitternacht, nachdem es noch zwei verkohlte Leichen gegeben hatte, vibrierte Kamerkes Mobiltelefon und vollführte einen zuckenden, wenig eleganten Tanz auf Madame Bovary , dem Buch, das er bei seinem überstürzten Aufbruch von zu Hause eher zufällig mitgenommen hatte, weil es nun mal gerade auf dem Beistelltisch neben seinem Lesesessel gelegen hatte.
Es war Dahms.
»Schläfst du nie?«, fragte Kamerke statt einer Begrüßung.
»Hör mal«, überging Dahms diese Bemerkung, sparte sich auch sonst jeden Small Talk, »ich hatte vorhin deine Frau an der Strippe, und die sagte, du bist seit drei Wochen nicht zu Hause gewesen.«
»Ich habe zu tun.«
»Also, ich schicke dich nicht die ganze Zeit in der Weltgeschichte rum. Da war die Geschichte in München über diesen Bauunternehmer und danach das mit dem Tänzer in Heidelberg. Hast du andere Herren neben mir?«
»Ich bin Polytheist«, sagte Kamerke. »Ich wechsele meine Götter stundenweise. Genau wie die Ressorts, für die ich schreibe.«
»Wenn du Stress zu Hause hast, geht mich das nichts an«, fuhr Dahms fort. »Ich habe nur keine Lust, als der Idiot dazustehen, der dafür verantwortlich ist. Wo bist du gerade?«
»In Berlin.«
»Ein lauer Mittwochabend in Berlin. Ich beneide dich. Naja, am Montag bist du in Hamburg. Kleine Sache für die Wochenendbeilage. Ich mail’ dir alles rüber. Geht das klar?«
»Sicher.«
»Und danach fährst du nach Hause. Deine Frau macht sich Sorgen. Nur mal so als Tipp.«
Kamerke legte auf. Dahms war fast zwanzig Jahre jünger als er, spielte sich aber auf wie ein väterlicher Freund. Dabei war Kamerke als Freier nicht mal Dahms’ Untergebener. Kamerke schrieb für jeden, der es brauchte. Am Dienstag hatte er was in Bochum, für ein Fußballmagazin. Kamerke konnte alles und machte alles, dafür war er bekannt. Zuverlässig, schnell und sauber.
Mehr aber auch nicht.
»Dir fehlt der Punch«, hatte Dahms ihm mal nach anderthalb Flaschen Wein gesagt, »das Besondere. Deshalb bist du über einen bestimmten Punkt nie hinausgekommen!«
Kamerke stand auf und trat ans Fenster. Da draußen war nichts, beziehungsweise noch weniger als nichts, denn ein Innenhof ist nicht mal ein Nichts. Erstaunlich viele Fenster waren noch erleuchtet. Das hier war ein typisches Tagungshotel, und tatsächlich lief gerade die Konferenz einer Firma aus der Energiebranche, deren Mitarbeiter Kamerke schon heute Mittag in der Lobby hatte ertragen müssen, als sie angereist waren. Viele Männer in Anzügen, die zu laut redeten, wenige Frauen in Kostümen, die sich sichtlich bemühten, über die schlechten Witze ihrer Kollegen zu lachen. Was man so hörte aus der Welt der abhängig Beschäftigten war doch, dass sie es bei Gelegenheiten wie diesen richtig
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