Rappen lernen
Vorort-Plattenladen, eine der sonderbaren Folgen der Verflechtung des Hip-Hop-Business mit dem Massenkonsum. Außerdem hatte ich Public Enemy bereits früher in jenem Sommer gehört, in 18 der langen Anfangssequenz von Spike Lees Film Do the Right Thing . Wie Rosie Perez darin zu »Fight the Power« tanzt, fand ich einfach überwältigend. Ich sah den Film dienstags in einer Matinee, taumelte nach Hause, und kuckte ihn mir gleich am nächsten Tag noch einmal an. Der Refrain von »Fight the Power« bedeutet mir beinahe so viel wie die amerikanische Nationalhymne, auch wenn ich bis heute nur heimlich und leise mitsummen kann, ohne mich ganz fürchterlich zu schämen (»Fight the power! – We’ve got to fight the powers that be!«). Ich erinnere mich sehr gut daran, wie diese Zeilen mein kindliches Bewusstsein aufweckten:
»Elvis was a hero to most, but he never meant shit to me
Was he straight up racist, a sucker, or simple and plain?
(Motherfuck him and John Wayne!)
’Cause I’m black and I’m proud, I’m ready, I’m hyped
plus I’m amped
Most of my heroes don’t appear on no stamp.«
»Wer waren diese geheimen Helden?«, fragte ich mich damals. Und sollten es nicht auch meine Helden sein?
Minor Threat hatten einen ganz anderen Effekt auf mich. Minor Threat war eine Hardcore-Postpunk Band aus Washington, D.C. Die Texte wurden geschrien, das Schlagzeug war superschnell, treibend und direkt, keine Spur vom Funk, Swing oder von den schleppenden Rhythmen der schwarzen Musik. Politisch waren ihre Texte geprägt von puritanischer Opposition gegen ein Amerika, das genauso böse war und alles Gute erstickte wie das in den Songs von Public Enemy. Ihre Haltung verband das schlechte Gewissen der Linksliberalen mit der 19 Empörung der Mittelklasse. Ein Song handelte tatsächlich von dem Schuldgefühl darüber, auf der falschen Seite der Rassengrenze zu leben (»Guilty of Being White«), in den übrigen ging es allerdings darum, ein Abweichler zu sein, ein Systemgegner – in einer Welt, in der alle Wertmaßstäbe selbst falsch waren. Nicht nur, dass die guten Jungs nie Weiß trugen (»Good Guys Don’t Wear White«), einfach alles war irgendwie aus dem Tritt geraten (»Out of Step«):
»Don’t – smoke
I don’t – drink
I don’t – fuck
At least I can – fucking think!
I can’t keep up, I can’t keep up, I can’t keep up.
Out of step – with the world!«
Bald verschrieb ich mich mit Herz und Seele Fugazi, der Nachfolgeband von Minor Threat. Die Rhythmen waren interessanter, und die Gesellschaftskritik entsprach noch mehr dem Lebensgefühl in unserem Vorort. Fugazi prangerten voller Wut die verwaltete Welt, Apathie, Passivität und ein Dasein an, das wir in den Wartezimmern der Gesellschaft verbrachten, während uns die Autoritäten Medikamente verabreichten, um uns ruhig zu stellen: »Once upon a time I had a name, I had a face / but to you, I’m nothing but a number.« (Immer wieder erstaunlich, wie sehr Weiße es hassen, auf eine Nummer reduziert zu werden.) »You are not what you own … You have – no control!«
Das war der Ethos des Postpunk, wie ich ihn kennen- 20 und schätzen lernte. Selbsthass, gemischt mit der Aufforderung, sich zusammenzureißen und eine alternative Welt aufzubauen, von der aus man gegen das System kämpfen konnte. In gewisser Weise war ich dafür angesichts meiner Position im Klassengefüge prädestiniert. Meine Eltern waren aufgestiegen, sie gehörten nun zur Schicht der Freiberufler und leitenden Angestellten, und ich hatte diese Entwicklung miterlebt. Man konnte sie vor allem an den Besuchen bei meiner Großmutter ablesen, und mir war bewusst, dass dies eine seltsame Situation war. Meine Eltern vermittelten mir Werte, in denen sich der Arbeiter- und Produzentenstolz der unteren Mittelklasse mit den entgegengesetzten Idealen der »Authentizität« und der »Sinnhaftigkeit« verband, die in der neuen, höheren Klasse hochgehalten wurden. Wir gehörten nun zur Schicht der Intellektuellen, Ärzte, Geschäftsleute, Anwälte und Ingenieure. Dabei handelt es sich um eine Klasse, deren politischer Widerstand seinen Ausdruck findet im Wunsch nach einer individualistischeren und humaneren moralischen Ordnung; man ist gegen die Konzentration von Macht und Wohlstand, ohne jemals am System selbst zu verzweifeln. Ihre Rebellion ist immer zugleich staatsbürgerlich und privatistisch.
Die meisten Postpunk-Bands waren dezidiert »antikapitalistisch«. Doch genau wie
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