Rappen lernen
die breitere antikapitalistische Bewegung, die in den sechziger Jahren entstand und dann in den Neunzigern noch einmal kurz in den Schlagzeilen auftauchte, richtete sich der Widerstand weniger gegen den Kapitalismus als solchen, als vielmehr gegen Monopole, gegen Ausbeutung, gegen die großen Konzerne. Es waren die klassischen Formen der bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Rebellion, die letztendlich auf 21 linksliberale Reformen zielt. Mit der politischen Haltung von It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back hatte das alles wenig zu tun.
Manchmal lernt man die wirklich einfachen Wahrheiten, wenn man sich entschließt, aktiv zu werden. Daher gehen auch die meisten unserer dummen Irrtümer auf mangelnde Erfahrung zurück. Als ich weiter an meinen Rap-Künsten feilte, verstand ich endlich ein Phänomen, das mir in den Straßen von Boston, New York und allen anderen amerikanischen Städten aufgefallen war, in denen ich bis dahin gelebt hatte. Ich kapierte plötzlich, warum man so vielen jungen Schwarzen begegnete, die auf dem Bürgersteig Quick-Step-Moves hinlegten, die in der U-Bahn ihre Show abzogen und aus vollem Hals zu den Songs rappten, die aus ihren Kopfhörern dröhnten. Man stößt einfach nicht sonderlich häufig auf Anhänger anderer Musikstile, die in der Öffentlichkeit laut vor sich hin singen, verrückte alte Leute, die irgendwelche Schnulzen trällern, einmal ausgenommen. »Hmmh?«, fragte ich mich, »welche überzeugende Interpretation hat die linke Theorie für dieses merkwürdige Verhalten zu bieten, das auf den ersten Blick wie reine Unhöflichkeit aussieht?« Natürlich hatte ich die klassische Erklärung für Graffiti und Skateboard-Fahren parat: dass es sich dabei eben um Strategien handelt, den öffentlichen Raum zurückzuerobern, der anonymen Figuren gehört, in dem Weiß und Schwarz, Reich und Arm zunehmend voneinander getrennt werden und der ganz allgemein von den Erwachsenen dominiert wird.
Da ich nun aber im Begriff stand, selbst Rappen zu ler 22 nen, verstand ich plötzlich, dass es einfach praktisch war, es in der Öffentlichkeit zu tun, praktisch und außerdem dringend notwendig. Der Lernprozess ist ziemlich anstrengend. Das ganze Üben ist eigentlich für die Katz, wenn man die Texte nur flüstert und nicht so laut rappt, wie man es auf der Bühne tun würde, nicht zuletzt, weil man dann ganz andere Atemtechniken braucht. Tatsächlich gab es in dieser Phase so vieles zu lernen (das ganze Referenzsystem der Rhymes und Darbietungen), dass ich im Prinzip rund um die Uhr üben musste. Wie ein homerischer Barde, der Tausende von Hexametern auswendig zu lernen hat, bevor er vor irgendeinem Kriegsherrn oder König auftritt. Und natürlich half es auch dabei, das Lampenfieber zu überwinden, wenn man in der U-Bahn oder an anderen öffentlichen Orten trainierte. Zugleich wirkte ich damit selbst ein bisschen bedrohlich, eine Dynamik, die James Baldwin (in The Fire Next Time ) als notwendige Aneignung dessen beschrieb, was andere auf einen projizieren: »Man brauchte einen Trick, irgendeinen Hebel, ein Mittel, um den anderen Angst einzujagen.« Tatsächlich hat es ja wirklich etwas Bedrohliches, wenn jemand hinter einem her geht oder in der U-Bahn neben einem steht und »Protect ya Neck« rappt.
Wenn ich mich recht entsinne, arbeitete ich damals an Snoop Dogs »Tha Shiznit« und an »Party & Bullshit« von Notorious B.I.G. , einem Klassiker und offenkundig sehr fröhlichen Song:
»I was a terror since the public school era
Bathroom passes, cutting classes, squeezin’ asses
Smokin’ blunts was a daily routine,
Since 13, a chubby nigga on the scene.
23 I used to have the tre-deuce and a deuce-deuce in my
bubble goose
Now I got the Mac in my knapsack loungin’, black …
Honeys wanna chat, but all we wanna know
Is where the party at? And can I bring my gat?
If not, I hope I don’t get shot
Better throw my vest on my chest, ’cause niggas is a
mess.«
Die Nummer ist ein typischer Hip-Hop-Party-Song, wir finden darin die üblichen Erinnerungen an die Gedankenlosigkeit der Jugend: Biggie war der Klassenclown, alles, was er und seine Clique wollten, waren Partys und Mädchen. In der rhythmisch besonders anspruchsvollen Zeile (»I used to have the tre-deuce and a deuce-deuce in my bubble goose«) behauptet er allerdings, dass er bereits mit dreizehn zwei Pistolen (eine im Kaliber 0.22, eine im Kaliber 0.32) in seinem Winterparka versteckt hatte, genau wie er jetzt, einige
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