Rasputins Erbe
Sofa zurück und dachte an ein weiteres Fragment ihres Traumes, das ihr gerade erst eingefallen war. Es war eine Art Keller gewesen, dachte sie. Sie schüttelte den Kopf, von wegen tropisches Land.
Am meisten Sorgen machte ihr die verblüffende Ähnlichkeit von Alexej Gromow und dem Mann in ihrem Traum. Hatte sie sich die Ähnlichkeit bloß eingebildet? „Bin ich wirklich so notgeil?“, dachte Julia. Andererseits hatte Deniz ebenfalls bemerkt, dass mit dem Typ irgendwas nicht stimmte. Allerdings war Deniz auch extrem sensibel, um nicht zu sagen: ein Weichei. Sie glaubte jedoch, dass sie in diesem Fall auf seinen Männer-Instinkt vertrauen konnte.
Und was hatte es mit der komischen Sekretärin oder Assistentin auf sich? Warum hasste sie sie so sehr? Julia hatte dafür keine Erklärung.
Wieder einmal kam sie zu spät, aber das war diesmal nicht Julias Fehler. Woher hätte sie wissen sollen, dass das Essen offenbar vorverlegt wurde? Sie fühlte sich schlagartig elend. Wann würde dieser Horrortag endlich enden?
„Julia!“, rief Peer und stand sofort auf, um ihr den Stuhl heranzuschieben. „Bitte verzeih', aber wir hatten uns spontan auf eine frühere Zeit geeinigt. Ich konnte dich leider nicht auf deinem Handy erreichen. Heute mittag übrigens auch nicht, hast du es verloren?“ Julia hätte sich abermals ohrfeigen können. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass ihre simple Vorsichtsmaßnahme sie einmal in eine solche Situation bringen würde.
„Nein, es ist in der Reparatur“, log Julia und fügte hinzu: „Ich habe versäumt, dich zu informieren.“ Sie hoffte, dass das die Wogen glätten würde. Katarina lächelte zumindest, Alexej schien aufmerksam die Karte zu studieren und interessierte sich kaum für das Geschehen am Tisch. Nachdem Julia die beiden nervös begrüßt hatte, konnte sie sich endlich ein wenig umschauen, denn Peer hatte Katarina bereits in ein Gespräch verwickelt. Julia hatte das Restaurant noch nie von innen gesehen. Le Patron , ein Geheimtipp für diejenigen selbsternannten Gourmets, die es sich leisten können.
Das Restaurant war edel eingerichtet, mit stilvollen Möbeln, die in sanftes Licht getaucht wurden. Julia war froh, dass sie ihre Abendgarderobe offenbar richtig gewählt hatte. Anstatt ihrer eher biederen Bluse und dem Rock trug sie ein unauffälliges, schwarzes Kostüm, dass gerade noch in die Vorwinterzeit passte. Sie hatte sich gegen einen Zopf entschieden und als sie mit verstohlenen Blicken Katarina Gromow musterte, erkannte sie, dass auch sie an diesem Abend eher leger unterwegs war.
Julia traute sich kaum, Alexej zu betrachten, denn falls er sie dabei erwischte, wie sie abwägte, ob er tatsächlich der Mann aus ihrem erotischen Traum war, hätte sie das gefühlte fünfzigste Fettnäpfchen an diesem Tag erwischt und das wollte sie um jeden Preis vermeiden.
Sie konnte jedoch nicht anders und versteckte sich daher ebenfalls hinter ihrer Speisekarte, um scheinbar die Köstlichkeiten darauf zu studieren. In Wirklichkeit scannte sie den mysteriösen Russen gegenüber. Er trug einen schlichten, grauen Anzug. Ohne Krawatte. Darunter konnte sie Ansätze von Brusthaar entdecken, denn Alexej verzichtete darauf, sein Hemd bis oben hin zuzuknöpfen. Das war Julia bereits bei ihrem ersten Meeting aufgefallen. Sie versuchte sich fieberhaft daran zu erinnern, ob der Mann in ihrem Traum ebenfalls Brusthaare hatte, aber sie konnte diesen Teil leider nicht rekonstruieren.
„Hey“, Peer stieß sie jovial mit der Schulter an. „Bist du noch unter uns?“ Julia zuckte zusammen. Sie fühlte sich ertappt. Allerdings war es glücklicherweise der nichtsahnende Peer, der sie aus ihren Grübeleien gerissen hatte und nicht Alexej. Katarina lächelte, aber bei ihr konnte man sie nicht wirklich sicher sein. Vielleicht hatte sie mitbekommen, dass Julia ihrem Ex-Mann auf das prachtvolle Brusthaar geglotzt hatte, vielleicht lauschte sie auch bloß der unaufdringlichen Jazz-Musik, die gerade aus unsichtbaren Lautsprechern im Restaurant ertönte. Julia wusste es nicht, wünschte sich allerdings Letzteres.
„Nein, entschuldige. Ich habe mich bloß gefragt, ob... Ach, Blödsinn!“, meinte Julia kraftvoll, denn sie wollte den Bann endlich lösen und wieder ganz die Alte werden. „Hat Peer Ihnen bereits erklärt, was wir mit ihrer Kampagne vorhaben?“ Wie zu erwarten ergriff nicht Alexej das Wort, sondern Katarina.
Sie sagte: „Ja, das ist der Grund, warum wir uns heute mit euch
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