Rasputins Erbe
beschloss das Buch, das ihre Mutter ihr aufgezwungen hatte, weiterzulesen. Aber erst einmal wollte sie ihre Reisetasche wieder auspacken, damit sie es sich danach ganz ungeniert auf ihrer Couch gemütlich machen konnte.
„Wie kann man nur so blöd sein“, zischte Julia, als sie ihre Tasche vollständig entpackt hatte. Etwas fehlte. Sie hatte ihren „falschen Hasen“, wie sie ihr Lieblingsspielzeug in Verenas Gegenwart manchmal scherzhaft nannte, bei ihrer Mutter vergessen.
Ihr Dildo schlummerte nun in ihrer Nachttischschublade in ihrem alten, unschuldigen Zimmer. Julia hoffte, dass ihre Mutter nicht plötzlich auf die Idee kam, dort aufzuräumen. Abgesehen davon war der vorübergehende Verlust ihres Spielzeugs nicht wirklich schlimm. Julia wusste, was sie wollte und sie wusste zum Glück auch, wie es sie es im Notfall auch ohne ihr Spielzeug bekommen konnte.
Gegen zehn Uhr am Abend machte es sich Julia endlich auf ihrer Couch bequem. Sie hatte Verena noch eine SMS geschickt, weil sie keine Lust auf allzu lange Gespräche hatte. Sie erwartete noch eine Antwort, daher stellte sie zumindest den Vibrationsalarm ihres Handys wieder ein. Nachdem Alexej einige Tage zuvor angerufen hatte, wollte sie erst einmal nicht mehr gestört werden und hatte daher das Handy die meiste Zeit auf lautlos gestellt.
Julia klappte das Buch auf, atmete tief durch und begab sich in auf eine Reise in ein weit entferntes Land, in dem es noch wirklich starke Frauen gab. Assassinen, die ihren Rachegelüsten nachgingen. Heldinnen, die in fünfundneunzig Prozent der Fälle am Ende einen Märtyrertod starben. Weibliche Vorbilder, die Menschen wie Julias Mutter geistig beflügelten, sie anspornten, sie inspirierten und verzauberten.
Obwohl Julia die ersten Seiten des dicken Wälzers als langatmig empfunden hatte, konnte sie mittlerweile kaum noch von ihrer Lektüre ablassen.
Als die Protagonistin gerade in einer brenzligen Situation war und drohte, von mehreren feigen Männern in einer schummrigen Gasse vergewaltigt zu werden, begann ihr Handy auf dem Glastisch zu vibrieren.
„Na, endlich!“, sagte Julia halblaut und legte das Buch beiseite. Verena hatte fast zwei Stunden für ihre Antwort gebraucht. Julia ahnte, dass sie vermutlich zu beschäftigt gewesen war. Sie schüttelte sich. Immer dann, wenn sie sich vorstellte, wie ihre beste Freundin, die Zwillinge im monströsen Bauch trug, Sex hatte, wurde ihr ganz anders. Immer wieder aufs Neue fühlte es sich komisch, ja, vielleicht sogar falsch an.
Die SMS war kurz und prägnant: „Tu das, was dein Herz dir sagt.“ Verena hatte einen Kuss-Smiley hinterlassen und Julia war froh, dass ihre Freundin nicht wieder versuchte, ihr in ihre Entscheidungen reinzureden.
Außerdem hatte Julia sich ohnehin schon längst entschieden. Sie würde Alexej treffen. Verenas positive Antwort hatte auf ihren Entschluss keinen wirklichen Einfluss gehabt. Aber es fühlte sich gut trotzdem gut an, bestätigt zu werden, dachte Julia.
Sie war aufgeregt, denn in weniger als vierundzwanzig Stunden würde sie wieder in dem luxuriösen Auto sitzen, den Fahrer anschweigen und zu Alexejs Anwesen dahingleiten.
Es war nicht ihre Abenteuerlust, die sie zurück in seine muskulösen Arme trieb. Es war ihre Zuneigung ihm gegenüber. Außerdem war sie extrem neugierig auf seine Sicht der Dinge in Bezug auf ihre Brandwunde.
Julia checkte die SMS noch einmal und schickte bloß einen Gutenachtgruß zurück an Verena. Inklusive Kuss-Smiley natürlich.
Ihr fiel auf, dass Verena die gleichen Worte wie damals Balu verwendet hatte. Auch er hatte ihr geraten, auf ihr Herz zu hören. Seit sie das tat, hatte sich ihr Leben grundlegend verändert. Es war intensiver geworden, stellte sie fest. Ihre Brandmal kribbelte und Julia verspürte den unbändigen Drang, daran herumzukratzen. Julia wertete das als ein Anzeichen der Heilung und beherrschte sich.
Sie las noch ein Kapitel, um herauszufinden, was aus der mutigen Protagonistin in ihrem Roman geworden war und ging dann überraschend entspannt ins Bett.
Kapitel 22 – Die Bestrafung
Diesmal wartete ein anderer Fahrer in einem anderen Wagen auf sie. Julia vermutete, dass Alexej mehrere Luxusautos besaß. Diesmal stieg sie in einen fast ebenso stilvoll ausgestatteten Mercedes ein. Der Fahrer wirkte auf den ersten Blick unsympathisch, wie Julia fand. Sie nahm ihm das jedoch nicht übel und bemühte sich, ein möglichst unkomplizierter Passagier zu sein.
Ihr Versuch, ihn in einen
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