Rasputins Erbe
hässliche Wunde fast vollständig verheilt. Eine auffällige Narbe würde ihr jedoch den kommenden Sommer vermiesen, dachte Julia, als sie das Pflaster zum letzten Mal gewechselt hatte.
„Ja, ich weiß. Kommst du mich denn bald nochmal besuchen? Also vor dem nächsten Weihnachten, wenn es irgendwie möglich ist. Du arbeitest zu viel“, fügte Martina besorgt hinzu.
„Ach, Quatsch. Es wird Zeit, dass ich mich um meinen Job oder das, was noch davon übrig ist, kümmere. Wenn ich Glück habe, schmeißt mich Peer doch nicht raus. Bei ihm weiß man ja nie“, meinte Julia und stopfte das Buch, das sie geschenkt bekommen hatte, in ein Seitenfach ihrer viel zu kleinen Reisetasche.
„Denk dran, Julia. Lass dich nicht von den Männern verarschen. Wenn dein Chef, äh, dein Ex-Chef, wieder so ein Chaos veranstaltet, bekommt er es mit mir zu tun!“
„Oh, ich glaube das würde ihm gefallen. Ich stelle es mir gerade vor: Marathonina sprintet wie ein Wirbelwind durch das Büro und mit einem eleganten Fußtritt reißt sie die Tür aus den Angeln, um Peer Mendelsohn schließlich auf seinem eigenen Schreibtischstuhl den faltigen Hintern zu versohlen. Ein Bild für die Götter. Meinst du, das du dafür fit genug bist?“, fragte Julia und lachte.
„Jaja, mach du nur deine Witze. In zwanzig bis dreißig Jahren wärst du froh, wenn du ein bisschen mehr für deinen Körper getan hättest“, sagte Martina laut und stemmte die Hände in die Hüften. Sie war ebenfalls gut gelaunt, denn sie wusste, dass Julia gut drauf war.
Ihre Sorgen bezüglich Julias Arbeitspensums waren zwar mehr als berechtigt, aber andererseits war sie auch stolz auf ihre Tochter, die es so viel weiter als sie selbst gebracht hatte.
„Ich weiß außerdem gar nicht, warum du mich hier festhalten willst. Du hast doch jetzt sogar einen Joggingpartner“, sagte Julia und nickte zu Luke herüber, dem die Zunge aus dem Maul hing, während er auf seiner Lieblingsdecke vor dem Kamin ein Nickerchen hielt.
„Ach was, von wegen festhalten. Ich will doch nur, dass du dich endlich mal richtig entspannst“, erwiderte ihre Mutter und beim Anblick ihres geliebten Hundes glänzten ihre Augen vor Freude.
„Dafür habe ich ja den Gutschein, nicht wahr? Ich ruf dich spätestens an, sobald ich mit Verena im Spa war. So, jetzt müssen wir aber los!“, sagte Julia, die einen kurzen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte. Sie stellte fest, dass sie ihren Zug vermutlich um ein paar Minuten verpassen würde, falls nicht noch ein Wunder geschah.
Kapitel 21 – Das Spiel
Obwohl Martina sich wirklich beeilte und alles aus ihrem alten Ford Fiesta herausgeholt hatte, musste Julia eine knappe Stunde auf den nächsten Zug warten. Sie war froh, als sie endlich wieder in Köln war. Das bunte Treiben, das Lichtermeer und die geschäftige Geräuschkulisse hatte sie doch irgendwie vermisst.
Julia schleppte ihre Reisetasche die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf und freute sich auf ihr eigenes Bett, ihre eigene Couch und vor allem auf ihren eigenen Kaffee.
Als sie gerade dabei war, die Schlüssel hervorzukramen, fiel ihr ein, dass sie den Briefkasten noch nicht kontrolliert hatte. Sie lief also wieder hinunter und tatsächlich wartete eine Nachricht auf sie. Von Alexej, wunderte sich Julia und war gespannt, was er von ihr wollte.
Zuerst hörte sie jedoch ihren Anrufbeantworter ab, dessen rotes Lämpchen ungeduldig blinkte. Die Digitalanzeige verriet Julia, dass sie offenbar sehr vermisst worden war. Knapp ein halbes Dutzend Anrufe waren auf dem altmodischen Ding gespeichert. Julia war bisher zu geizig gewesen, es durch ein moderneres, komfortableres und vor allem zuverlässigeres Gerät zu ersetzen.
Piep. „Hey, Julia! Was ist denn eigentlich passiert? Peer hat nichts gesagt und du warst plötzlich einfach weg. Bist du im Urlaub? Wir hätten dich hier gut gebrauchen können. Naja, frohe Weihnachten wünsche ich dir. Ist zwar noch was hin, aber ich fliege über die Ferien – oh, Mist, ich muss auflegen. Mach's gut!“
Deniz klang besorgt und Julia war erstaunt, dass Peer offenbar niemandem den wirklichen Grund für ihre Abwesenheit in der FemediaX GmbH genannt hatte.
Der Anrufbeantworter piepste erneut. Julia erkannte die Stimme ihrer besten Freundin: „Hi! Ich bin's. Ich hoffe, du machst keinen Unsinn. Lass bloß die Finger von dieser Annabelle. Wir haben immer noch nichts in der Hand, vergiss das nicht! Ich wünsche dir jedenfalls eine schöne Weihnachtszeit. Wahrscheinlich bist du
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