Rebella - Alpenblues & Huettenflirt
Augenwinkeln sah sie das zufriedene Feixen von Theresa und Neles nach oben gerichteten Daumen und grinste verlegen zurück.
»Wenn ihr jetzt alle da seid, können wir ja abstimmen«, unterbrach Frau Neuhaus die ausgelassene Stimmung. »Es geht darum, ob wir uns heute den höchsten Punkt auf der gesamten Nord-Süd-Strecke vornehmen wollen und dann auf der Boè-Hütte übernachten oder ob wir uns einen gemütlichen und erholsamen Tag in Wolkenstein machen. Unser Bus trifft erst morgen Nachmittag hier ein und es bleibt also ein ganzer Tag zur freien Verfügung. Ich würde vorschlagen, wir stimmen einfach ab. Also, wer ist für den letzten Dreitausender vor Venedig? Leo meint, es ist eine anspruchsvolle Tour. Na?«
Unschlüssiges Schulterzucken war die Antwort. Fragende Blicke huschten hin und her, jeder wollte erst abwarten, was die anderen sagten, bevor man sich entschied.
»Aber man kann unmöglich die Alpen auf dieser Strecke überqueren, ohne auf dem Piz Boè gewesen zu sein. Unmöglich, das dürft ihr nicht zulassen. Faulenzen könnt ihr euer Leben lang, hierher kommt ihr vielleicht nie wieder zurück«, schimpfte Nele außer sich über das Zögern um sie herum. Ach ja, das Gipfeltagebuch. Fehlte nicht noch genau ein Eintrag, damit Nele ihre Wette gewann?
Sara hätte beiden Vorschlägen zugestimmt, es war ihr völlig egal, wie sie ihren letzten Tag verbrachte. Hauptsache, sie konnte bei Luca sein. Mit ihm wäre sie widerspruchslos bis nach Afrika gelaufen. Oder auf den Mount Everest und sogar die Strecke bis zum Mond würde sie nicht abschrecken. Jetzt verstand sie, weshalb sich Nele und Eric immer an den Händen hielten, obwohl so eine gefühlsduselige Geste gar nicht zu ihnen passte. Sicherheitshalber rückte Sara noch ein wenig näher an Luca, bis sie seine Wärme durch ihr T-Shirt spürte und er geistesabwesend anfing, ihre Finger zu streicheln. Dann erst bemerkte sie, dass Luca sie fragend ansah, als warte er auf ihre Entscheidung.
Sara nickte ihm zu. Noch so ein Hügelchen mehr war schließlich keine große Sache, ein Klacks, wenn man nicht an Herzschmerzen litt. Und weil sie wusste, dass Nele die nächsten einhundert Jahre sauer wie Essigreiniger sein würde, wenn sie sich für einen faulen Tag entscheiden würde, hob sie mit Nele, Eric und Luca die Hand und stimmte für den Berg. Theresa zog eine nachdenkliche Schnute, schloss sich ihnen dann aber an und gab damit das Zeichen für alle anderen, ebenfalls ihre Hände zu heben.
»Das ist einstimmig«, stellte Leo zufrieden fest. »Und ihr werdet es nicht bereuen. Der Piz ist der Höhepunkt der südlichen Route und die Hütte dort ist die höchstgelegene überhaupt. Man sagt, bei gutem Wetter kann man von dort bis nach Venedig sehen, aber das ist natürlich übertrieben.«
Neles erleichterter Aufschrei ging in dem Jubel und den Rufen unter, die beschworen, dass sie so flink laufen würden wie noch nie.
Leo hatte nicht zu viel versprochen. Die Aussicht war atemberaubend, auch schon von der Schutzhütte aus. Wobei Sara weniger wegen der Aussicht die Luft fehlte, sondern weil Luca bei ihr war. Luca mit seinen Küssen, die ihr den Atem nahmen, den Verstand wegschmolzen und ihr Herz dazu brachten, Kapriolen zu schlagen. Luca, dessen Hand auf ihrem Bauch lag und sich langsam den Weg unter ihr T-Shirt ertastete. Sie richtete sich vorsichtig auf. Nein, so weit war sie noch nicht. Noch immer war sie Sara, die Zurückhaltende, und nicht Sara, die Hemmungslose. Um ihn nicht zu verletzen, nahm sie seine neugierige Hand und pustete in sein Gesicht mit den hingebungsvoll geschlossenen Augen.
»Aufwachen«, flüsterte sie. »Hier schauen nicht nur Murmeltiere zu, sondern noch ganz andere neugierige Geister, das ist nichts für mich.« Verlegen öffnete Luca die Augen und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Sorry, ich wollte nicht …« Sara schüttelte den Kopf. Ihm musste nichts mehr leidtun, überhaupt nichts. Eine Weile saßen sie still nebeneinander. Hier gab es wirklich keine einzige Stelle, an die man sich zurückziehen konnte. Draußen schroffer Fels und nacktes Geröll, drinnen in der Hütte laute Gasträume und überbelegte Matratzenlager. Auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen waren sie über Ina und Marcel gestolpert, die in ihrer üblichen innigen Verknotung in einer Ecke zwischen Haupthaus und Schuppen lagen und sie gar nicht bemerkten. Nicht einmal, als Sara und Luca kichernd über die beiden gesprungen waren, um eine Holzbank an der Hauswand
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