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Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)

Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)

Titel: Die zweite Tochter: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Scott
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    Jill blieb auf der Treppe stehen und lauschte. Draußen rief doch jemand nach ihr? Andererseits hatte sie sich schon einmal getäuscht. Wahrscheinlich war es nur der Regen, der rauschte, oder der Wind, der durch die Bäume pfiff. Trotzdem blieb sie ganz Ohr. Vielleicht war doch jemand draußen?
    »Schatz?« Sams blaue Augen schauten verdutzt hinter der Brille hervor. Er drehte sich nach ihr um, die Hand ließ er auf dem Treppengeländer liegen. »Hast du dein Handy vergessen?«
    »Nein. Aber ich glaube, ich habe da was gehört.« Mehr sagte sie nicht. Jill war Mitte vierzig, hatte also schon einiges erlebt und war klug genug, die Gedanken, die ihr über ihre Vergangenheit in den Sinn kamen, für sich zu behalten.
    »Was denn?« Sams Stimme klang müde. Es war kurz vor Mitternacht, die beiden wollten schlafen gehen. Im Haus war es dunkel, nur die Lampe am Ende des Treppenhauses brannte. In ihrem schwachen Schein schimmerten die silbernen Strähnen in Sams vollen, dunklen Haaren. Beef, ihr molliger Golden Retriever, sah vom Treppenabsatz auf Jill herab, seine buttergelben Ohren fielen nach vorn.
    »Ich muss mich verhört haben.« Jill wollte gerade weitergehen, da begann Beef aufgeregt zu bellen und mit dem Schwanz zu wedeln. Sein Blick ging Richtung Hauseingang.
    Jill! Jill!
    »Das ist Abby!« Diesmal hatte Jill sich nicht verhört. Die Rufe ließen sie zusammenfahren, die Stimme traf sie mitten ins Herz. Sie hastete die Treppe hinunter, und Beef jagte hinterher. Mit seinem kräftigen Hinterteil wirkte er wie ein Sattelschlepper, der sich zur Abwechslung als Rennwagen versuchte.
    »Was für eine Abby?«, rief Sam ihr hinterher. »Die Tochter deines Ex?«
    »Genau die.« Jill schob den Türriegel zurück, knipste das Verandalicht an und öffnete die Tür. Von Abby keine Spur, nur Dunkelheit. Hier am Ende der Siedlung gab es keine Straßenbeleuchtung, außerdem verwischte der Regen die Konturen der Häuser und Wagen, sodass die Vorstadt-Tristesse verschwamm. Ein schwarzer SUV fuhr vorbei, nur einer seiner Frontscheinwerfer brannte, und dessen Schein fiel auf eine Silhouette, die Jill nur zu gut kannte. Abby taumelte den Gehweg entlang, als wäre sie verletzt.
    »Sam, ruf den Notarzt, schnell!« Jill stürzte sich aus dem Haus in den Sturm. Was war mit Abby? Vielleicht ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht? Oder ein Aneurysma? Für einen Schlaganfall war sie noch zu jung, und mit Gewehren und Messern hatte in diesem Viertel niemand etwas am Hut.
    Jill hetzte durch den Regen, Beef vorneweg, sein Bellen klang besorgt. Der Bewegungsmelder des Nachbarn sprang an und erhellte den Vorgarten. Abby wankte und torkelte, die Handtasche rutschte ihr von der Schulter und landete auf der Erde. Nach ein paar Schritten verlor sie jeden Halt, brach zusammen und fiel ins Gras.
    »Abby!« Jill rannte zu ihr. Sie war bei Bewusstsein, weinte. Jill fühlte ihren Puls und tastete Kopf und Körper nach Zeichen von Verletzungen ab. Es gab keine. Regenwasser rann über ihr Gesicht, das sich mit ihren Tränen vermischte und die Wimperntusche verlaufen ließ. Ihr dünnes Sommerkleid klebte an ihrem Körper. Ihr Puls war normal und regelmäßig. Jill war verwirrt. »Abby, was ist los mit dir?«
    »Du musst mich … stützen.« Abby hob die Arme. »Bitte.«
    Jill drückte Abby fest an sich, um sie vor dem Regen zu schützen. Wie oft hatte sie dieses Mädchen schon in den Arm genommen? Ihr fielen all die Male wieder ein, als hätte ihr Gehirn die Erinnerungen daran nur aufbewahrt, um sie in diesem Augenblick wieder lebendig werden zu lassen. Einmal war Abby mit Rollschuhen gestürzt und hatte sich einen Knöchel gebrochen. Einmal hatte sie in Mathematik eine schlechte Note mit nach Hause gebracht. Ein andermal hatte sie ihr Fußballtrainer nicht für die Mannschaft nominiert. Die kleine Abby war ein empfindsames Mädchen gewesen, aber jetzt war sie nicht mehr klein – und doch hatte Jill sie noch nie so aufgelöst gesehen.
    »Abby, Schatz, red endlich, damit ich dir helfen kann.«
    »Nein, ich kann nicht … Es ist so schrecklich.« Als Abby schluchzte, fiel Jill auf, dass sie nach Alkohol roch. Und zwar stark. Sie war gar nicht verletzt, sie war betrunken. Jill hatte sie drei Jahre lang nicht gesehen, in denen sie erwachsen geworden war. Abby musste jetzt neunzehn sein. »Jill, Dad ist tot … Er ist tot.«
    »Was?« Jill stockte der Atem. Ihr Exmann war noch keine fünfzig Jahre alt und angeblich bei ausgezeichneter Gesundheit. »Wie?«
    »Jemand

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