Rebellen der Ewigkeit
Valerie wusste zwar nicht, was der 23. für ein Wochentag war, aber sie war sicher, keine anderen Verabredungen zu haben. Sie hatte nämlich überhaupt keine Termine, die irgendwie der Rede wert gewesen wären. Keinen Job, keine Schule – der ganze Tag stand zu ihrer Verfügung, einmal abgesehen von den paar Stunden in der Klinik. Sie konnte zwar ihrer Mutter im Haushalt helfen, aber die winzige Wohnung war in wenigen Stunden komplett gereinigt, und den Rest der Zeit verbrachte sie damit, über ihr Leben nachzubrüten. Zumeist mit wenig erfreulichen Ergebnissen.
»Um vierzehn Uhr? Ist das okay?«
»Vierzehn Uhr ist gut.« Bressler tippte etwas ein. Aus dem Druckerschlitz schob sich ein Zettel hervor. Er legte ihn ihr hin. »Das ist Ihre Terminbestätigung. Und damit wären wir auch schon beinahe fertig für heute.«
Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum. Auch Valerie stand auf. Bressler machte eine Handbewegung in Richtung der Sanduhr. Valerie sah ihn fragend an.
»Ihr Vorschuss«, lächelte er. »Den wollen Sie doch sicher mitnehmen, oder?«
Valerie nickte. Sie folgte ihm quer durch den Saal. In die Wand neben der Sanduhr war eine quadratische Nische eingelassen, nicht größer als ein CD-Cover.
»Halten Sie einfach Ihre rechte Hand hinein«, forderte Bressler sie auf. Valerie zögerte einen Moment. Aber was sollte schon passieren? Sie warf einen raschen Blick auf die Sanduhr, die aus der Nähe noch viel imposanter aussah. Fast glaubte sie, das Rauschen des Sandes hören zu können, der unaufhaltsam nach unten rieselte. Wieder überkam sie dieses Ameisengefühl. Sie riss sich aus ihren Gedanken und schob ihre Hand in die Öffnung. Nichts geschah. Sie wollte Bressler schon fragen, was sie jetzt tun solle, als sich mit einem leisen Surren eine in der Wand verborgene Klappe neben ihr in die Höhe schob und einen Schlitz freigab, aus dem sich ein weißer Briefumschlag hervorschob.
Bressler zog den Umschlag ganz heraus und hielt ihn Valerie hin. »Das ist Ihr Scheck über 10.000. Sie können ihn in jeder Bank einlösen.«
Valerie nahm den Umschlag und drehte ihn hin und her.
»Sie können den Scheck gerne überprüfen«, lächelte Bressler. »Und keine Sorge, er ist garantiert gedeckt.«
Vorsichtig packte Valerie den Umschlag in ihre Umhängetasche. »Brauchen Sie keine Quittung?«, fragte sie.
Bressler schüttelte den Kopf. »Die haben Sie soeben mit ihrem Handabdruck gegeben.« Er streckte ihr die Hand hin. »Dann sehen wir uns in vierzehn Tagen. Es war mir eine Freude, mit Ihnen ein Geschäft zu machen.«
Valerie schüttelte seine Hand. »Ebenfalls … ich meine, es war ganz einfach …«, stotterte sie.
»Ich begleite Sie noch hinaus.« Mit einer eleganten Bewegung befreite Bressler seine Hand aus ihrer und dirigierte sie in Richtung Ausgang. Dort angekommen, zog er die Tür auf, wünschte ihr noch einen schönen Tag, und ehe sie sich versah, stand sie alleine vor dem Gebäude.
Sie drehte sich um und blickte durch die Glastür, aber Bressler war bereits verschwunden. Wahrscheinlich war er in sein Versteck zurückgekehrt, um dem nächsten Kunden aufzulauern.
Mit kleinen Schritten ging Valerie den Bürgersteig entlang. Es kam ihr so unwirklich vor, was sie gerade erlebt hatte. Vielleicht auch deswegen, weil es so schnell und unkompliziert gegangen war. Und sie hatte zehn Jahre ihrer Lebenszeit verkauft! Auch wenn sie vorher lange darüber nachgedacht hatte – jetzt erst wurde ihr langsam bewusst, was das bedeutete.
Unbewusst betastete sie mit ihrer Hand die Umhängetasche, in der der Scheck über 10.000 Euro steckte. Ihr ging der alte Spruch »Geld oder Leben« durch den Kopf, der heute für sie eine ganz neue Bedeutung angenommen hatte.
Ein lautes Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Kopf schnellte nach oben. Entsetzt stellte sie fest, dass sie mitten auf einer Straßenkreuzung stand. Ein roter Pick-up kam mit hohem Tempo auf sie zugerast. Sie konnte gerade noch das Gesicht der Fahrerin erkennen, deren Mund zu einem stummen Schrei geöffnet war.
Dann wurde es dunkel.
2.
Karelia Simms hatte es eilig.
Das war für sie nicht ungewöhnlich. Sie war meistens in Eile, weil es ihr Beruf so erforderte. Als Privatdetektivin hatte sie immer mehr Klienten, als sie eigentlich im Rahmen einer einigermaßen normalen Arbeitszeit bearbeiten konnte. Das lag zum einen an ihrem guten Ruf, der ihr die Kunden scharenweise ins Büro trieb; zum anderen hatte ihr Zeitmangel seine Ursache auch darin, dass
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