Das Hospital der Verklärung.
VORWORT ZUM »HOSPITAL DER VERKLÄRUNG«
D AS HOSPITAL der Verklärung«, meinen ersten Roman, schrieb ich 1948. Das im folgenden Jahr dem Verlag Gebethner und Wolff eingereichte Manuskript übernahm nach Auflösung dieser Firma der Verlag »Książka i Wiedza« (Buch und Wissen). Seine Lektoren meinten, der Roman könne nicht herausgebracht werden, da er der damals entstandenen Rezeptur des sozialistischen Realismus nicht entspreche, und veranlaßten mich, ihm eine ›Fortsetzung‹ in Form von zwei weiteren Bänden zu geben, deren Niederschrift ich 1951 beendete; doch auch dann noch weckte der Roman so viele Bedenken, daß er erst Ende 1955 im Krakauer »Wydawnictwo Literackie« (Literarischer Verlag) erschien. So verzögerte sich mein Debüt um sieben Jahre und nahm eine völlig andere Gestalt an als die ursprünglich beabsichtigte. Nunmehr habe ich mich entschlossen, das Buch in seiner frühesten Form wieder herauszugeben, das heißt, ich mache aus dem ersten Band der Trilogie »Die nichtverlorene Zeit« (deutscher Titel der DDR -Ausgabe: Die Irrungen des Dr. Stefan T.) ein selbständiges Werk, wie es das nach meiner Überzeugung, der Überzeugung eines angehenden Autors, sein sollte. Heute fällt es mir schwer, die Motive der Lektoren zu verstehen, die bei der Beurteilung des Romans das Argument des ›Gegengewichts‹ und andere kompositorische Seltsamkeiten benutzten, und ebenso mich an die unzähligen Varianten der beiden weiteren Bände zu erinnern, die immer wieder neu geschrieben und geändert wurden, auch das unter dem Einfluß unzähliger Beratungen in den Verlagen. Ich möchte ganz einfach unter jenen Überlagerungen die entschwundene Form des Buches herausschälen, das ich vor sechsundzwanzig Jahren geschrieben habe,denn es enthielt meine Erfahrungen aus der Zeit des Krieges und der Okkupation, allerdings nicht autobiographische Elemente, sondern nur den Versuch, meinem damaligen Verhältnis zur erkannten Welt Ausdruck zu verleihen.
Kraków, im August 1974
Stanisław Lem
DAS BEGRÄBNIS
D ER ZUG hielt nur ganz kurz in Nieczawy. Stefan hatte kaum Zeit, sich durch die Tür zu zwängen und abzuspringen, da zog die Lokomotive auch schon schnaufend an, und hinter ihm begannen die Räder zu rattern. Seit mehr als einer Stunde wurde er das beklemmende Gefühl nicht los, das Aussteigen zu versäumen, und dieses Problem überschattete alles, selbst den Zweck seiner Reise. Nun, da er, der stickigen Wärme des Abteils entronnen, gierig die frische, fast schneidend kalte Luft einatmete, befreit und ratlos zugleich, kam er sich vor wie aus einem schweren Traum erwacht.
Es war einer der letzten Februartage. Lichte Wolken mit weißglühenden Rändern bedeckten den Himmel. Vom Schmelzwasser unterspült, sackte der Schnee in den Schluchten und Mulden zusammen, gab Stoppelfelder und Gebüsch frei, morastige Wege und lehmige Hänge. Das Chaos – der Herold allen Wandels – war in das eintönige Weiß der Landschaft getreten.
Die Überlegung mußte Stefan büßen; er trat fehl, Wasser lief ihm in den Schuh. Er schauderte. Das immer schwächere Schnaufen der Lokomotive verschwand schließlich hinter der Hügelkette von Bierzyniec, und nun ließ sich ein zirpendes Geräusch vernehmen, jenes allgegenwärtige, unlokalisierbare, eintönige Raunen der Schmelze. Vor der langgestreckten Anhöhe wirkte Stefan in seinem haarigen Raglanmantel, seinem weichen Filzhut und den Halbschuhen gänzlich fehl am Platze, und er war sich dessen auch bewußt. Gleißende Rinnsale stürzten emsig den Weg herab, der zum Dorf emporklomm. Von Stein zu Stein hüpfend, erreichte Stefan die Kreuzung und warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz voreins. Die Stunde der Beerdigung stand zwar nicht genau fest, aber Stefan wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Der Leichnam war bereits am Vortag von Kielce übergeführt worden. Der Sarg müßte also schon in Onkel Ksawerys Haus sein. Vielleicht hatte man ihn auch in der Kirche aufgestellt, denn das Telegramm enthielt den unklaren Hinweis auf eine Messe. Oder hieß es Exequien? Stefan vermochte sich nicht zu erinnern, überdies ärgerte es ihn, daß er seine Gedanken an liturgische Fragen verschwendete. Zum Haus des Onkels waren es zehn Minuten Weg, zum Friedhof ebensoviel; wenn der Trauerzug aber zur Kirche abbog … Stefans Unschlüssigkeit wuchs. Er näherte sich der Landstraße, blieb in der Kurve stehen, ging ein Stück zurück und hielt von neuem an. Da sah er in einiger Entfernung einen
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