Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
zusammen. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche gesperrt, während die Männer in mehrere Gruppen aufgeteilt und in verschiedene Scheunen und andere Gebäude des Dorfes eskortiert wurden. Dann begann das Gemetzel.
Amtliche Stellen sprachen von 642 Opfern, aber inoffiziellen Schätzungen zufolge könnten an dem Tag bis zu tausend Menschen gestorben sein. Nur dreiundfünfzig Leichen wurden je identifiziert. Einem Jungen aus Lothringen, der bereits aus eigener Anschauung wusste, zu welchen Gräueln die SS fähig war, gelang es, während die Truppen ins Dorf einmarschierten, unbemerkt zu fliehen. Fünf Männer überlebten das Massaker in Laudys Scheune. Obwohl verletzt, schafften sie es, sich aus dem brennenden Gebäude zu retten und sich bis zum nächsten Tag versteckt zu halten. Einer Frau glückte die Flucht aus der Kirche: Sie kletterte aus einem Fenster, nachdem sie sich neben dem Leichnam ihres Kindes stundenlang tot gestellt hatte.
Soldaten gingen von Haus zu Haus und fanden Dorfbewohner, die zu krank oder zu gebrechlich gewesen waren, um ihre Betten zu verlassen. Diese Menschen wurden erschossen, ihre Häuser in Brand gesteckt. Einige Leichen wurden in Massengräbern verscharrt, andere in Brunnen und Backöfen entsorgt.
Der für diese Aktion verantwortliche Offizier war General Lammerding. Am 9. Juni hatte er in Tülle die Erschießung von neunundneunzig Geiseln angeordnet. Er gab auch den Befehl zum Massaker von Oradour. Im weiteren Verlauf des Krieges fiel er in die Hände der Briten, die allerdings seine Auslieferung an Frankreich verweigerten. Stattdessen durfte er in seine Heimatstadt Düsseldorf zurückkehren, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1971 ein erfolgreiches Unternehmen leitete.
In der allgemeinen Begeisterung über die Landung in der Normandie blieb die Tragödie von Oradour nahezu unbemerkt. Erst im Januar 1953 begann in Bordeaux der Prozess gegen fünfundsechzig Männer, die als Mittäter bei dem Massaker identifiziert worden waren. Von diesen fünfundsechzig waren nur einundzwanzig anwesend: sieben Deutsche und vierzehn Elsässer. Keiner der Männer war im Offiziersrang gewesen.
Jeder Einzelne für schuldig befundene Angeklagte verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Im Interesse der nationalen Sicherheit war ein besonderes Amnestiegesetz verabschiedet worden. (Die elsässische Bevölkerung war darüber empört, dass ihre - zwangsrekrutierten - Landsleute verurteilt worden waren.) Die deutschen Angeklagten wiederum wurden mit der Begründung freigelassen, sie hätten ihre Strafe bereits verbüßt.
Infolge dieser Ereignisse brach Oradour jede Beziehung zum französischen Staat ab - eine Trennung, die siebzehn Jahre währte.
Im Mai 1983 wurde in Ostberlin ein Mann vor Gericht gestellt, dem vorgeworfen wurde, als Sturmführer der Division »Das Reich« am Massaker von Oradour beteiligt gewesen zu sein. Er gestand alles und wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Im Juni 1996 berichteten die Medien, dass noch immer um die zwölftausend ausländische Freiwillige der Waffen-SS von der deutschen Bundesregierung Pensionen beziehen. Einer dieser Pensionäre, ein ehemaliger Oberstunnbannführer, war in Oradour dabei..
Oradour ist heute Mahrunal und Gedenkstätte. Das zerstörte Dorfblieb so, wie es die Deutschen an jenem Tag im Juni 1944 hinterlassen hatten.
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