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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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mir. In verärgertem Ton.
    Ich nickte. Ich fragte mich manchmal, ob sie mich nicht mit ihm verwechselte. Ob ich mir nicht Schläge einzuhandeln drohte, die für ihn bestimmt waren. Ich war auf der Hut. Wenn sie so richtig wütend auf mich war, warf sie mir an den Kopf, ich gleiche ihm aufs Haar und sei der zweite schwere Irrtum, den sie in ihrem Leben begangen habe.
    »Ich kann dir nur raten, mit mir einverstanden zu sein«, sagte sie zu mir.
    Jetzt funkelten ihre Augen, und sie rauchte ei ne Zigarette, während sie mich anstarrte, aber ich merkte genau, daß sie an etwas anderes dachte. Männer schielten ihr nach, aber aus- nahmsweise interessierte sie das nicht. Und ich fragte mich, womit ich wohl einverstanden sein sollte. Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung. Ich verstand sie nicht immer.
    Wenn mein Vater uns besuchte, lohnte sich der Versuch nicht einmal.
    »Ich hab die Nase so voll«, fügte sie hinzu und drückte ganz plötzlich ihre Zigare tt e aus. »Wenn du wüßtest, wie sehr ich die Nase voll hab.«
    Während wir wieder über den Parkplatz gingen, fragte sie mich, warum ich nicht antworte und ob ich nicht mit ihr einverstanden sei. Und kaum sa ßen wir im Auto, da streichelte sie mir die Wange.
    Mein Vater hatte die Hose heruntergelassen, um sein Knie zu untersuchen. Meine Mutter warf aus der Ferne einen kurzen Blick darauf und sagte ihm, er solle besser zum Arzt gehen. Mein Vater grinste albern. Meine Mutter zuckte die Achseln. Ohne die geringste Vorwarnung nahm sie dann die Reiseta sche meines Vaters und schleuderte sie nach drau ßen. Das hat mich fast umgehauen.
    Aber er sagte nichts. Er stand auf, zog die Hose hoch und ging kopfschüttelnd nach draußen, um die Tasche wiederzuholen. Er nutzte die Gelegen heit, um sich die Umgebung näher anzusehen, die totenstill im Dämmerlicht lag.
    Er kam wieder herein und sagte zu ihr: »Mach dir keine Gedanken.« Dann zwinkerte er mir zu und setzte sich wieder, als sei nichts geschehen. Er stellte die Tasche neben sich auf den Boden. Und dann sagte er noch zu ihr: »Kein Grund, sich so aufzuregen.« Zur Antwort knallte meine Mu tt er eine Schublade in der Küche zu.
    Ich hoffte, daß es dabei bleiben würde. Am Weihnachtsabend hatte sich mein Vater gezwungen gesehen, ihr einen Arm zu verrenken. Er hatte ei nen verletzten Typen mitgebracht, den er am Straßenrand aufgegabelt hatte, und meine Mutter hatte deshalb einen Affenzirkus veranstaltet und ge brüllt, so einen Kerl wolle sie nicht im Hause ha ben. Es gelang ihm nicht, sie zu beruhigen. Da bei hatte er alles versucht, aber sie wollte nichts davon wissen. Schließlich verbrachten sie und ich die Nacht bei der Nachbarin. Wir hatten nicht mal was gegessen. Die beiden schickten mich ins Bett und unterhielten sich die halbe Nacht flüsternd. Am nächsten Morgen war mein Vater fort. Er fuhr ei nen Mercedes, und draußen schneite es. Ich ahnte, daß wir ihn so schnell nicht wiedersehen würden.
    Während mein Vater telefonierte, sagte meine Mutter zu mir: »Sitz nicht so dumm rum hier«, und schickte mich fort, um etwas für sie zu erledigen, wobei sie ihn mit düsterer Miene im Auge behielt. Sie mochte es nicht, daß ich dabei war, wenn er tele fonierte. Sie hätte genausogut von mir ver- langen können, mich zu kämmen und mir die Zähne zu putzen oder mein Zimmer aufzuräumen, obwohl ich es eigentlich immer ganz anständig zurückließ.
    Der Wind draußen war noch lau, das Licht der Straßenlaternen tanzte unter den Bäumen, und das Auto meines Vaters sah aus, als sei es nagelneu — ohne einen Kratzer – und warte nur darauf, wie ei ne Rakete loszusausen. Ich ging über die Straße und betrat das Haus der Nachbarin, wobei ihr Hund mich aus dem Gebüsch anknurrte.
    Sie saß auf dem Sofa, neben ihr lag eine aufgeschlagene Zeitung.
    Ohne den Kopf zu heben, blätterte sie die letzte Seite um und erklärte: »Deine Mutter bringt mich wirklich zum Lachen.« Dann faltete sie die Zei tung und reichte sie mir.
    Sie fragte mich, ob er lange bleibe. Ich zuckte die Achseln, um anzudeuten, daß ich keine Ahnung hatte. Ehe ich wegging, drückte sie mich an sich. »Du gehörst zu den Menschen, die ständig zu kurz kommen«, meinte sie. Dann stieß sie einen Seufzer aus und fügte hinzu:»Auch wenn du nichts dafür kannst.« Sie hielt mich eine ganze Weile in den Ar men. Meine Mutter tat das auch manchmal, aber das war etwas anderes. Mir war durchaus klar, daß sie als Frau nicht übel war, und ich wußte, daß ihr Mann

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