Reich kann jeder
Verkehrstoten in Brandenburg, für die Söhne und Töchter, die sich um die Bäume wickeln.«
»Du hast in die Kamera geguckt«, sagt der Kameramann.
»Dann mach ich’s noch mal«, sage ich, und irgendwann sind sie dann weg.
Um 16.44 Uhr beginnt die Sache zu wirken, da haben wir die ersten Bestellungen. Platte, Kreuze, Springerstiefel. Gleich drei Stück. Ein großer Mann, XL. Die Rechnung ist auch sehr gut. 62,75 Euro.
Die erste Hass-Mail geht ein, aber deren Inhalt kann mich nicht schocken. »Herr Rentzow!«, heißt die Begrüßung. »Herr Rentzow, Sie machen ein paar Prozent der Brandenburger zu 100 Prozent und hoffen auf ein Geschäft! Sie sind nicht ganz gesund!«
Ich fühle mich fabelhaft, denn im Fernsehen kommt gleich eine gute Sendung mit mir. Ich bin der Teaser dafür. Die beiden Moderatoren halten ein Shirt in die Kamera, die ausgebrannte Platte, die für den eklatanten Wohnungsleerstand steht, dann kommt erst noch das Wetter, und dann komme ich gleich wieder. In dem Beitrag, der ziemlich lang ist und in dem ich eine Hauptrolle spiele, kommt ein Psychologe zu Wort. Er vergleicht unsere Kampagne mit der von Benetton. Die Praktikantin fährt in unserem Shirt auf einer Rolltreppe. Die Brandenburger lieben sie.
Ich schwitze vor Glück und nehme meinen Schal ab.
***
Manchmal sind die Hoffnungen von heute das Große von morgen, und manchmal ist alles, was man sich heute erträumt, morgen gar nichts. Ob wir nicht Rainald Grebe treffen könnten, frage ich Anne, den Komiker, der schon vor ein paar Jahren einen Hit hatte: »Es gibt Länder, wo was los ist, und es gibt Bran-den-buuuuuuuuuurg!«
Wenn wir ihm sagen würden, dass er unser großes Idol sei, ob er dann vielleicht unsere Shirts anzieht, die »Platte« vielleicht?
Wir treffen Rainald Grebe. Er sitzt da und sagt, er hätte vielleicht das »So fies ist« weggelassen. Nur »Brandenburg« hätte völlig gereicht und die Aussage vielleicht sogar noch verstärkt.
Ich finde, er hat recht, aber nur einen Nachmittag.
Wir waren auch schon wieder in München bei unserem Verlag, der das Buch machen will, in London, jetzt fahren wir nach Sylt zu Manfred Baumann, der dort das legendäre Krebsessen für alle seine Duz-Freunde organisiert und neben dem Johannes B. Kerner jetzt wohnt.
Er ist ein absolutes Werbe-Genie.
Manchmal nenne ich es Tournee, was wir jetzt machen. Ich finde es komisch, aber je mehr wir unterwegs sind, desto mehr denke ich, dass ich kein Zuhause mehr habe. Es fehlt mir manchmal ziemlich doll, ich will es wieder.
Ich habe Sehnsucht nach früher, den Freunden in meiner Küche, dem Balkon. Aber wenn ich dann da bin, auf meinem grauen Sofa sitze, fühle ich mich fremd. Wie ein Gast beinahe in meinem alten Leben, auf dem jetzt Staub liegt.
Es sammelt sich ganz schön viel Staub an, wenn eine Wohnung länger alleine ist.
Unterm Bett.
Es fühlt sich so falsch an, weil es ein Leben mit begrenzten Möglichkeiten war.
Weil ich mich immer wieder frage, wo und was ich wohl wäre, wenn ich früher angefangen hätte, wenn ich schon früher aufgestanden wäre, um aus meinem Leben mehr zu machen als ein graues Sofa, Dielenfußboden und einen kleinen Balkon.
Ich bin ungerecht zu meinem alten Ich und verfluche das neue Leben, das nicht schnell genug reich macht und mich so viel kosten lässt vom Großen, vom Schönen.
Am neuen Ralph-Lauren-Shirt für 100 Euro, das ich nur gekauft habe, weil alle anderen schmutzig waren.
Am »Ich muss mal wieder raus« und eine Limousine holen, wenn ich mal raus will.
Am Sachs- und Reichgefühl.
Am Gefühl, so beweglich und so unabhängig, so geflissentlich und so selbstverständlich zu sein wie die anderen Großen, die richtig Großen der Republik.
Für die alles selbstverständlich ist.
Ich komme dann nach Hause und frage mich: Wo bin ich? Herr Rentzow, ist jemand da, will ich dann fragen, aber es ist niemand da.
Nur ein junger Mann, der gut aussieht, bei Udo Walz war und schöne Polohemden anhat.
Nur ich.
Ich bin nicht der Einzige, der jetzt mehr nachdenkt. Eine Freundin, die drei Monate Paste und Copy in einer Agentur machen musste, eine ziemliche Deppenarbeit, sagt: »Ich frage mich schon manchmal, wo der Sinn liegt, ob es nicht einen tieferen Sinn gibt.« Und dann sagt sie: »Meine Mutter ist früher auch mit der Straßenbahn zur Arbeit gefahren und hat nicht gejammert.«
Die Freundin und ich, wir schweigen danach. Sie hat andere Probleme.
***
Ob wir nicht das Video, das wir mit dem Guru gedreht
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