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Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Titel: Reise nach dem Mittelpunkt der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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der gegenüber wohnte, stellte uns einen Schlüssel zu, und wir begannen hinaufzusteigen.
    Mein Oheim ging mit munterem Schritt voran. Ich folgte nicht ohne Angst nach, denn es ward mir sehr leicht schwindelig. Es ging mir die Haltung des Adlers und die Unempfindlichkeit seiner Nerven ab.
    So lange wir uns in der inneren Schnecke befanden, ging Alles gut; aber nach etwa hundertundfünfzig Stufen wehte mir die Luft in’s Gesicht; wir waren bis zur Plateform gekommen, von wo aus die Treppe in freier Luft begann, mit einem schwachen Geländer und Stufen, die stets enger wurden und bis zum Unendlichen zu führen schienen.
    »Es ist mir nicht möglich! Niemals! – schrie ich.
    – Solltest Du wohl so feige sein? Steig’!« erwiderte unbarmherzig der Professor.
    Ich mußte durchaus ihm folgen, und klammerte mich an.
    In der freien Luft schwand mir die Besinnung; ich fühlte bei den heftigen Windstößen den Thurm schwanken, meine Beine versagten mir den Dienst; ich ruschte bald auf den Knieen, dann auf dem Leib; ich schloß die Augen; es wurde mir übel.
    Endlich, indem mein Oheim mich am Kragen faßte, kam ich bei der Kugel an.
    »Jetzt schau’, sagte er, und schaue recht! Du mußt lernen, in einen Abgrund blicken!«
    Ich öffnete die Augen. Ich sah die Häuser platt und zusammen gedrückt, wie mitten im Nebel des Rauchs. Ueber meinem Kopf zog flockiges Gewölk, und durch optische Täuschung schien es mir unbeweglich, während der Thurm, die Kugel, wir zugleich mit in phantastischer Eile fortgezogen wurden. In der Ferne sah man auf der einen Seite grüne Felder, auf der andern das im Sonnenschein schimmernde Meer. Bei der Spitze von Helsingör breitete sich der Sund aus, mit etlichen weißen Segeln, und östlich zeigten sich im Nebel wogend die halb vermischten Gestade Schwedens. Dies alles zusammen wirbelte vor meinen Blicken.
    Demungeachtet mußte ich aufstehen, mich gerade halten, schauen. Meine erste Schwindellection dauerte eine Stunde. Als ich endlich wieder hinabsteigen und den festen Boden des Pflasters betreten durfte, war ich an allen Gliedern steif.
    »Morgen wiederholen wir die Lection«, sagte mein Professor.
    Und wirklich, fünf Tage wurde diese Schwindelübung fortgesetzt, und ich machte, mit und wider Willen, merkliche Fortschritte in der Kunst, von einem hohen Standpunkt aus zu betrachten.
Neuntes Capitel.
Ankunft auf Island.
    Der Tag der Abreise kam heran. Tags zuvor überbrachte uns der gefällige Herr Thomson dringende Empfehlungsbriefe an den Statthalter Islands, Grafen Trampe, den Coadjutor des Bischofs, Herrn Picturson, und den Bürgermeister von Reykjawik, Herrn Finsen. Mein Oheim dankte ihm mit wärmstem Händedruck.
    Am 2., sechs Uhr frühe, befand sich unser kostbares Gepäck an Bord der Valkyrie . Der Kapitän führte uns in ziemlich enge Cabinen.
    »Haben wir günstigen Wind? fragte mein Oheim.
    – Vortrefflichen, erwiderte der Kapitän Bjarne; Südost. Wir werden mit vollen Segeln aus dem Sund in die weite See stechen.«
    Nach einer kleinen Weile stach die Goelette, mit Fockmast, Mars-und Bramstange, in See und fuhr mit vollen Segeln in die Meerenge ein. Eine Stunde hernach schien die Hauptstadt Dänemarks fern in den Fluthen zu versinken, und die Valkyrie fuhr längs der Küste von Helsingör. Ich befand mich in reizbarer Stimmung, glaubte Hamlet’s Schatten auf der Terrasse des alten Schlosses zu sehen, das übrigens weit jünger ist, als der heroische Prinz von Dänemark. Es dient gegenwärtig als kostbare Hütte des Pförtners am Sund, wo jährlich fünfzehntausend Schiffe aller Nationen vorüber fahren.
    Das Schloß Kronborg verschwand bald im Nebel, ebenso der Thurm von Helsingborg auf dem schwedischen Gestade, und die Goelette neigte sich ein wenig unterm Wehen der Seewinde des Kattegat.
    Die Valkyrie segelte trefflich, aber auf ein Segelschiff kann man sich nie sehr verlassen. Es war für Reykjawik mit Kohlen, Haushaltungsgegenständen, Töpferwaaren, wollenen Kleidungsstücken und einer Ladung Getreide befrachtet. Fünf Mann, lauter Dänen, genügten als Bemannung.
    »Wie lange wird die Ueberfahrt dauern? fragte mein Oheim den Kapitän.
    – Zehn Tage etwa, erwiderte letzterer, wenn wir nicht bei den Faröern allzuviel widrigen Wind aus Nordwest gegen uns haben.
    – Aber Sie werden dadurch doch nicht einer bedeutenden Verspätung ausgesetzt sein?
    – Nein, Herr Lidenbrock; seien Sie ruhig, wir werden ankommen.«
    Gegen Abend fuhr die Goelette um das Cap Skagen an der

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