Reise nach dem Mittelpunkt der Erde
Farrenkräutern, betrete mit schwankendem Schritt die bunten Märgel und Sandsteine des Bodens; ich lehne mich wider einen Stamm ungeheurer Zapfenbäume, und schlafe unter’m Schatten hundert Fuß hoher Lykopodien.
Die Jahrhunderte verfließen wie Jahre! Ich steige die Reihe der Umbildungen der Erde aufwärts. Die Pflanzen verschwinden; die Granitfelsen verlieren ihre Härte; der feste Zustand geht unter Einwirkung einer stärkeren Hitze in den flüssigen über; die Gewässer fließen auf der Oberfläche des Erdballs; sie sieden, verflüchtigen sich; Dünste umhüllen die Erde, die allmälig nur eine gasartige Masse bildet, so groß und glänzend wie die Sonne.
Im Centrum dieses Nebelgestirns, vierzehnhunderttausendmal ansehnlicher, als die Erdkugel, welche es einst bilden soll, fühle ich mich in die Planetenräume fortgezogen!
Was für ein Traum? Wohin führt er mich? Meine fieberhafte Hand bringt diese seltsamen Details zu Papier! Ich habe Alles vergessen, den Professor, den Führer und das Floß.
»Was ist Dir denn?« sagte mein Oheim.
Meine offenen Augen starren ihn an, ohne ihn zu sehen.
»Gieb Acht, Axel, Du wirst in’s Meer fallen!«
Zugleich faßte mich Hans mit kräftiger Hand, sonst wäre ich in meinem Traum in die Wellen hinabgestürzt.
»Ist er ein Narr geworden? schrie der Professor.
– Was giebt’s denn? sagte ich endlich, als ich wieder zu mir kam.
Axel’s Traum. (S. 175.)
– Bist Du krank?
– Nein, ich war einen Augenblick in Traumgesichte verloren, jetzt ist’s vorüber. Sonst geht Alles gut?
– Ja! Guter Wind, gutes Meer! Wir gleiten rasch voran, und irre ich nicht in meiner Schätzung, so müssen wir bald landen.«
Bei diesen Worten stand ich auf, forschte am Horizont; aber die Linie des Wassers vermischte sich stets mit der des Gewölbes.
Das Floß emporgehoben. (S. 181.)
Dreiunddreißigstes Capitel.
Ein Riesenkampf.
Samstag , 15. August . – Das Meer ist fortwährend einförmig. Kein Land in Sicht. Der Horizont scheint sehr zurückgewichen.
Der Kopf ist mir noch schwer von meinem gewaltigen Traum.
Mein Oheim hat nicht geträumt, aber er ist übler Laune. Er blickt mit seinem Fernrohr in allen Richtungen und kreuzt die Arme mit verdrießlicher Miene.
Ich bemerke, daß der Professor Lidenbrock dazu neigt, wieder der ungeduldige Mann, wie vormals, zu werden, und zeichne die Thatsache auf. Es hatte meiner Gefahren und Leiden bedurft, um ihm einige Funken Menschlichkeit zu entlocken; aber seit meiner Genesung ist er wieder der Alte.
»Sie scheinen unruhig, lieber Oheim? sagte ich, da ich ihn oft das Fernrohr vor die Augen halten sah.
– Unruhig? Nein.
– Also ungeduldig.
– Man könnte es wenigstens sein.
– Doch fahren wir so schnell …
– Gleichviel. Nicht die Schnelligkeit ist zu gering, sondern das Meer zu groß!«
Nun erinnerte ich mich, daß der Professor vor unserer Abfahrt die Länge dieses unterirdischen Meeres auf dreihundert Kilometer geschätzt hatte. Aber wir hatten bereits einen dreimal so langen Weg gemacht, und die südlichen Ufer waren noch nicht zu sehen.
»Wir kommen damit nicht abwärts! fuhr der Professor fort. Das ist nur Zeit verloren, und, kurz, ich bin nicht so weit hergekommen, um eine Vergnügungsfahrt auf einem Teich zu machen!«
Er nannte also diese Ueberfahrt eine Vergnügungspartie und dies Meer einen Teich.
»Aber, sagte ich, da wir den von Saknussemm angegebenen Weg eingeschlagen haben …
– Das ist die Frage. Sind wir auf diesem Weg geblieben? hat Saknussemm diese Wasserfläche angetroffen? Ist er darüber gefahren? Hat uns nicht der Bach, welchen wir zum Führer nahmen, völlig irre geführt?
– Jedenfalls haben wir nicht zu bedauern, daß wir so weit gekommen sind. Das ist ein prachtvolles Schauspiel, und …
– Um das Schauen handelt sich’s nicht. Ich habe mir einen Zweck vorgesteckt, und ich will ihn erreichen! Also sprich mir nicht von bewundern!«
Ich ließ mir’s gesagt sein, und kümmerte mich nicht darum, daß der Professor sich vor Ungeduld die Lippen zerbiß. Um sechs Uhr Abends forderte Hans seinen Lohn, und seine drei Reichsthaler wurden ihm ausgezahlt.
Sonntag , 16. August . – Nichts Neues. Gleiches Wetter. Der Wind wird etwas frischer. Beim Erwachen ist meine erste Sorge, die Stärke des Lichtes zu constatiren. Ich besorge stets, die elektrische Erscheinung möge dunkler werden, dann verlöschen. Kein Grund dazu. Der Schatten des Flosses ist auf der Wasserfläche klar
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