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Reisende auf einem Bein

Reisende auf einem Bein

Titel: Reisende auf einem Bein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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gehen. Ob sie sprechen konnte, sie versuchte es. Ob das gesprochen war, sie wußte es nicht.
    Irene suchte an der Wand entlang einen Platz für das Bett.

    Ich bin ein Zauderer, sagte eine tiefe Stimme.
    Wer sind Sie, fragte Irene.
    Zauderer.
    Sie haben sich verwählt.
    Die Stimme lachte, und es war die Stimme von Franz.
    Ein Zauderer, kennst du das Wort nicht.
    Nicht so genau, sagte Irene.
    Ich auch nicht, sagte Franz. Ich war gestern auf der Uni, ich sollte eine Arbeit abgeben. Ich habe unterwegs zur Uni verschiedene Ausreden geprobt. Durchgespielt. Ausreden waren es keine. Ich wollte lügen. Als ich dann vor dem Professor stand, wußte ich nicht, welche Lüge die bessere war. Und bevor ich den Mund öffnen konnte, hat der Professor mich angesehn und gesagt: Sie zaudern so lange, bis Sie nicht mehr wissen, was Sie schreiben wollen. Sie sind ein Zauderer.
    Die Uhr tickte. Die Wählscheibe war staubig.
    Ich will dich besuchen, ich weiß noch nicht wann, sagte Franz.
    Zauderer, sagte Irene, ein seltenes Wort. Man denkt an Zauberer, aber an einen, ders nicht mehr kann.
    Weißt du, sagte Irene, daß du eine andere Stimme hast als in dem anderen Land. Sie ist anders, auch, wenn du sie nicht verstellst.
    Ich hör mich selbst, wenn ich rede. Vorher hab ich mich nicht gehört. Ich rede mir ins Ohr, oder ich rede durch die Ohren, sagte Franz.

    Ein Kind hatte sich auf ein breites Bett gelegt. Es schlug die Beine übereinander. Legte die Arme unter den Kopf.
    Das Kind schloß die Augen und lachte.
    Schlafen und lachen, das geht nicht, sagte die Frau. Wenn du groß bist, kriegst du ein großes Bett.
    Sie hielt die Schuhe des Kindes an den Schnürsenkeln. Ließ sie baumeln:
    Jetzt verlierst du dich darin. In der Nacht ist es noch größer, mein Schatz.
    Das Kind sah sie an. Dann schloß es die Augen.
    Sie fürchtet sich nachts, sagte die Frau, auch in ihrem Kinderbett. Dann kommt sie zu uns gekrochen.
    Sie lächelte, als hätte sie noch etwas sagen wollen.
    Das Kind öffnete die Augen. Gähnte:
    Sag Guten Morgen.
    Das Kind sah auf Irenes Mund. Schrie:
    Sag Guten Morgen.
    Du hast nicht geschlafen, sagte Irene. Es ist nicht Morgen. Wenn du willst, sage ich Guten Tag.
    Die Frau zog das Kind an den Beinen:
    Sie können das Bett nicht sehen wegen uns.
    Sie zog dem Kind die Schuhe an.
    Auch für mich ist es zu groß, sagte Irene.
    Die Frau band die Schnürsenkel, ohne hinzusehn:
    Ein Ehebett. Wenn man allein schläft, hat das keinen Sinn. Sie stellte das Kind auf den Boden:
    Auf der anderen Seite hab ich schmale Betten gesehn.
    Eine Strähne fiel der Frau, als sie sich bückte, zögernd übers Ohr. Dann, wie losgerissen über die Wange, über den Mund.
    Irene spürte ihre Handgelenke klopfen. Sah auf dem geblümten Bezug der breiten Matratze die trockene Zunge des Sachbearbeiters als blasses, halbverdecktes Blatt.
    Ich möchte eigentlich ein Gästebett, sagte Irene.

    Auch in dieser Nacht verschwand der Himmel überm Innenhof. Auch das Gras verschwand.
    Weil die Wände so schwarz waren wie der Himmel und das Gras, verschwanden auch sie.
    Ein Viereck leuchtete.
    Von der Länge her hätte das Viereck eine Tür sein können. Doch, da es so hoch oben leuchtete, wußte Irene, daß es ein Fenster war.
    Hinter dem Viereck lag ein Zimmer. Hinter den Mann im Turnhemd trat jede Nacht ein zweiter Mann. Der zog einen Mantel an. Kurz danach, jede Nacht, trat eine Frau ins Zimmer. Die zog eine Bluse aus.
    Der Mann im Turnhemd verschwand jede Nacht. Und der Mann im Mantel verschwand jede Nacht.
    Die Frau ohne Bluse blieb. Sie redete.
    Es mußte, jede Nacht, noch eine Person im Zimmer sein, die Irene nicht sah.
    Diese Person mußte der Grund sein, weshalb das Viereck leuchtete in der Nacht.
    Weil das Licht draußen so grau war, hatte Irene Angst, sich auszuziehn. Sie saß auf dem Bettrand. Zog die Schuhe aus. Irene legte sich in den Kleidern hin. Sah ihre Schuhe vor dem Bett stehn.
    Irene deckte sich zu.
    Es war schwer, die Augen geschlossen zu halten.
    Die Lider waren zu kurz. Es kam Licht durch die Wimpern. Der Lichtspalt der Lider war so grell, als käme das Licht im Zimmer von unten. Als leuchte der Fußboden in die Augen.
    Irene drehte das Gesicht zur Wand.
    An der Wand grenzte sich deutlich ein Viereck ab. Das war weißer als der Rest der Wand. Nicht weiß wie Kalk war das Viereck. Es war weiß wie Haut. Es war ein Rücken.
    Irene sah die Rippen durch die Haut. Der Rücken atmete. Er war auch wärmer als der Rest der Wand. Irene dachte an

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