René Schnitzler. Zockerliga: Ein Fußballprofi Packt Aus
kommen würde, ist nicht zu erkennen, als sein Beifahrer Stefan Freuen vorschlägt, er solle doch mal bei Rot fahren.
»Mach ich«, antwortet Schnitzler.
»Machst Du nicht«, hält der Kumpel dagegen.
»Siehst Du gleich«, entscheidet Schnitzler. Dann sagt er nichts mehr. Sein Kumpel Markus, der hinten auf der Rückbank sitzt, kann überhaupt nicht glauben, was er da gerade gehört hat.
Schnitzler knallt mit 100 Stundenkilometern unter dem roten Licht hindurch, und erst auf der Kreuzung sehen sie, dass auch von rechts jemand kommt. Der hat Grün und fährt ebenfalls zügig. Es fehlen nur Augenblicke.
An einer Aral-Tankstelle stoppt Schnitzler den Wagen. Stefan Freuen, der Beifahrer, sagt nichts. Markus klettert kreidebleich von der Rückbank und übergibt sich. Er steigt an diesem Abend nicht mehr ein.
»Für René war bei dieser Aktion typisch, dass der andere Wagen von rechts kam«, sagt Stefan Freuen heute, acht Jahre später. »Der wäre uns auf der Beifahrerseite reingefahren und hätte erstmal mich zerquetscht. René wäre am Ende wahrscheinlich mit einem blauen Auge davon gekommen. So war es eigentlich immer, wenn wir irgendeine Scheiße gemacht haben.«
Immer wieder verschafften sie sich Erregung damals, »im Grunde aus Langeweile«, sagt Schnitzler heute. Er sei durchaus »nicht auf alles stolz, was damals so abging«. Er meint im Auto, hinterm Steuer, er meint den Tatort Straße. Er meint auch die Autorennen.
Nachts um drei oder vier Uhr wurden die ausgetragen, Start war in Mönchengladbach-Mülfort, Fünfziger-Zone. Die Häuser stehen eng an der Straße, und kurz hinter der imaginären Startlinie auf Höhe der Grundschule musste man sich auch noch an einer Verkehrsinsel vorbeiwinden.
»Da hatte man schon über Neunzig drauf.« Es ging ums Beschleunigen, um die höchste Zahl am Tachometer.
Nach eineinhalb Kilometern hat man Mülfort verlassen, am Straßenrand liegt Ackerland, die Straße ist schmal geblieben. Nicht ohne Grund liegt die Höchstgeschwindigkeit hier weiterhin bei 50. Und dann beginnt auch schon wieder eine geschlossene Ortschaft, Giesenkirchen. Es waren insgesamt kaum mehr als drei Kilometer, die zur Verfügung standen, ein anspruchsvoller Stadt-Kurs, wer nicht von Anfang an kompromisslos Gas gab, hatte keine Chance. Sie fuhren mit Schnitzlers schwarzem Porsche Boxster, 285 PS, und mit einem BMW E46, 170 PS. Rekordinhaber, erzählt Schnitzler, sei mit 180 km/h er selbst gewesen.
Wenn Schnitzler heute Langeweile als Motiv für derlei Wahnsinn ausmacht, ist das sicher nicht die komplette Erklärung. Den Tacho hochzutreten und sich in tiefster Nacht als Herr über hunderte PS zu fühlen, das übt ja an sich schon auf manchen Menschen eine Faszination aus. Da ist der Wettbewerb, da ist das Verbotene, da ist der Nervenkitzel der Gefahr. Beim Kartenspielen ist es ähnlich, nur dass es für Schnitzler und all jene, mit denen er nun regelmäßig zocken geht, nicht gleich lebensgefährlich wird.
2
KICK OHNE KICKEN
Bevor am Samstag die ersten Fußballspiele gezeigt werden, laufen Hunderennen. Sie flimmern über die Bildschirme der kleinen Tipico-Filiale in Mönchengladbach-Mülfort, Aufzeichnungen aus Amerika. Zehntausende solcher Bänder haben findige Geschäftsleute aufgenommen, kopiert und weltweit verkauft. Alle fünf Minuten startet eine neuer Lauf. Sechs Greyhounds rennen eine Runde, gesetzt wird auf den Gewinner und den Zweiten. Keiner weiß, welcher Hund schneller ist, gut in Form, ausgeruht. Aber darum geht es auch nicht. Hier wettet niemand, weil er sich mit der Materie befasst hat und mehr als andere davon versteht.
Schnitzler ist mit Christian Pöstges ins Tipico gekommen, ein paar von dessen Freunden stehen schon vor dem Tresen. Die Rennen sind kurzweilig, die Jungs setzen hier zwei und dort vier Euro, sie feuern die Hunde an, »los, renn, du scheiß Köter!«. Wenn einer ein paar Mal gewonnen hat, spendiert er den anderen die nächsten Tippscheine. »Monsieur allerdings«, erinnert sich Christian Pöstges, »setzte nicht zwei, nicht vier und auch nicht zehn Euro.« Monsieur Schnitzler hat ein paar Hunderter mit. Und er sieht keinen Grund, warum er nicht entsprechend hoch einsteigen soll. Als die Bundesliga-Spiele beginnen, hat er wenig genug verloren, um noch ein paar Partien zu tippen.
Im Tipico in Mülfort fällt Schnitzler aus der Gruppe heraus, allein deshalb, weil es bei ihm bei jeder Wette um mehr geht. Er geht ein größeres Risiko ein, erntet größere Gewinne
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