Rette mich vor dir
–«
Die Tür geht auf. Tana und Randa kommen herein und bleiben abrupt stehen, starren auf unsere verschlungenen Körper.
»Oh!«, macht Randa.
»Äm.« Tana blickt zu Boden.
Adam flucht leise.
»Wir können später wiederkommen –«, sagen die Zwillinge wie aus einem Munde.
Sie drehen sich um, wollen wieder gehen, aber ich halte sie zurück. Ich werde die beiden nicht aus ihrem eigenen Zimmer vertreiben.
Ich sage, sie sollen hierbleiben.
Sie fragen mich, ob ich mir sicher bin.
Ich werfe einen Blick auf Adam, und mir ist schmerzlich bewusst, dass ich es bitter bereuen werde, wenn ich auch nur eine Minute unserer gemeinsamen Zeit vergeude. Doch ich weiß ebenfalls, dass ich die Zwillinge nicht ausnutzen will. Das ist auch ihr Zimmer, und in Kürze wird das Licht ausgemacht. Ich kann die beiden nicht draußen auf den Gängen herumwandern lassen.
Adam schaut mich nicht mehr an, lässt mich aber auch nicht los. Ich küsse ihn leicht aufs Herz, und nun sieht er mich an. Lächelt gequält.
»Ich liebe dich«, sage ich so leise, dass nur er mich hören kann.
Er atmet stockend aus. Flüstert »du hast ja keine Ahnung«. Dreht sich um und eilt hinaus.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals.
Die Zwillinge starren mich an. Sie sehen besorgt aus.
Tana will etwas sagen, aber dann
ein Schalter
ein Klacken
ein Flackern
und es ist dunkel.
4
Die Träume kehren zurück.
Eine Zeitlang, als ich in Warners Stützpunkt gefangen gehalten wurde, waren sie verschwunden. Ich hatte geglaubt, ich hätte den weißen Vogel verloren, den Vogel, der goldene Federn auf dem Kopf hat wie eine Krone. Er kam zu mir in meinen Träumen, segelte kraftvoll und unbeirrt über die Welt, als wisse er alles, als kenne er Geheimnisse, die wir niemals erahnen werden, als wolle er mich an einen sicheren Ort geleiten. Er war mein einziges Stück Hoffnung in der bitteren Dunkelheit der Anstalt. Und dann fand ich seinen Zwilling, auf Adams Brust tätowiert.
Als sei der weiße Vogel aus meinen Träumen direkt zu seinem Herzen geflogen, um dort zu verweilen. Ich glaubte, er sei ein Zeichen, die Botschaft, dass ich endlich geborgen wäre. Dass ich fortgeflogen wäre und endlich Frieden und Zuflucht gefunden hätte.
Ich hatte nicht erwartet, den Vogel wiederzusehen.
Doch er ist zurückgekehrt, unverändert. Derselbe weiße Vogel mit derselben goldenen Federkrone, am selben blauen Himmel. Aber diesmal ist er wie festgefroren. Schlägt mit den Flügeln, ohne vorwärtszukommen, als sei er gefangen in einem unsichtbaren Käfig, als sei er dazu verdammt, dieselbe Bewegung für immer und ewig zu wiederholen. Der Vogel scheint zu fliegen: Er ist in der Luft, und seine Flügel sind unversehrt. Er sieht aus, als sei er frei und könne sich zum Himmel aufschwingen. Doch er steckt fest.
Kann nicht hochfliegen.
Kann nicht herabstoßen.
Diesen Traum hatte ich in der letzten Woche jede Nacht, und an allen 7 Tagen erwachte ich morgens bebend, zitternd in der eisig kalten Luft der Erde, und versuchte, das Wimmern in meiner Brust zum Schweigen zu bringen.
Und verzweifelt zu verstehen, was der Traum bedeuten soll.
Ich krieche aus dem Bett und schlüpfe in den Anzug, den ich nun jeden Tag trage – das einzige Kleidungsstück, das ich noch besitze. Der Anzug ist violett, in einem so dunklen Ton, dass er beinahe schwarz wirkt. Er schimmert ein wenig im Licht und liegt eng an, bedeckt meine Haut vom Hals bis zu den Knöcheln, ohne mich einzuengen.
Ich kann mich darin bewegen wie eine Tänzerin.
Mit meinen weichen Lederstiefeln, die knöchelhoch sind und sich eng an meine Füße schmiegen, verursache ich nicht das geringste Geräusch beim Gehen. Die schwarzen Lederhandschuhe, die mir bis zum Ellbogen reichen, verhindern, dass ich versehentlich etwas anfasse. Tana und Randa haben mir einen Haargummi geliehen, und zum ersten Mal seit Jahren trage ich die Haare hochgebunden, in einem Pferdeschwanz. Den Anzug kann ich inzwischen auch alleine anziehen, am Anfang war das etwas schwierig, und er gibt mir das Gefühl, außergewöhnlich zu sein. Unverwundbar.
Castle hat ihn mir geschenkt.
Er hatte den Anzug vor meiner Ankunft in Omega Point eigens für mich anfertigen lassen. Weil er dachte, ich hätte vielleicht gerne etwas, das andere vor mir schützt, mir aber auch die Möglichkeit lässt, jemanden zu verletzen. Falls ich das will. Oder falls ich es tun muss. Der Anzug besteht aus einem Spezialmaterial, das bei Hitze kühlt und bei Kälte wärmt. Bislang hat er sich
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