Rettungskreuzer Ikarus Band 047 - Sudekas Traum
Vorgesetzten und Dienststellen waren, sowie, soweit von allgemeinem Interesse, über öffentliche Durchsagen mit Lautsprechern. Es gab keine telepathische Verbindung, und die war auch gar nicht nötig. Jede Anweisung wurde mit Eifer und Freude aufgenommen. Es musste niemand mit der Peitsche danebenstehen oder spionieren und irgendeinem Unterdrückungsapparat berichten. Jeder trug diesen Unterdrückungsapparat mit sich herum, im Falle der hier Aufgewachsenen seit Geburt.
Sudeka wollte nicht dazugehören.
Sie saß etwas unterkühlt in der Ecke, sah den Regentropfen zu, die durch das undichte Dach drangen und auf dem Boden Rinnsale und Pfützen bildeten. Ja, sie konnte sich durchaus eine normale Unterkunft zuweisen lassen. Niemand würde sie fragen, woher sie kam. Es gab auf dieser Welt keine Verbrechen. Es gab Reisende – Neugier und Wissbegier wurden durch den Virus keinesfalls abgetötet –, und es gab entsprechende Unterkünfte. Sudeka hatte eine von ferne betrachtet. Sie wusste, dass, wenn sie dort vorsprach, sie nicht mehr weit davon entfernt war, Teil dieser Maschinerie zu werden. Seltsamerweise war die Tatsache, dass sie zitternd in der feuchten Luft hockte und darauf hoffte, dass keines der Rinnsale sie erreichen würde, ein letzter, trotziger Ausdruck ihrer individuellen Menschenwürde.
Dann kam sie zu einem Entschluss.
Sie würde in die Fabrik zurückkehren. Es gab für sie dort zwei Möglichkeiten, etwas zu tun, um dem Schicksal zu entgehen, das auf sie wartete. Beide Möglichkeiten waren letztlich unbefriedigend, aber es war alles, was ihr blieb.
Sie konnte einen mentalen Abdruck ihrer selbst, eine digitale Aufzeichnung ihrer Persönlichkeit erstellen. Die Biofabrik tat dies bei einigen Untersuchungsopfern, um positive und nützliche mentale Eigenschaften zu extrahieren, die zur Verbesserung des Virus genutzt werden konnten. Diesen Abdruck würde sie an sicherer Stelle in einem Speicher ablegen, damit er reaktiviert werde, falls ein Schiff des Raumcorps jemals auf dieser Welt landen sollte. Die Biofabrik würde dann die Genfabrikatoren in Gang setzen und eine Kopie ihrer selbst erschaffen, so wie sie ursprünglich einmal, vor dem Befall mit dem Virus, ausgesehen hatte. Vielleicht konnte sie dann noch einmal jemandem nützlich sein.
Nicht sie selbst natürlich.
Für sie selbst gab es nur den einen Ausweg, und sie hatte darin ein Vorbild, ein namenloses, ewig altes und von einer tödlichen Krankheit gezeichnetes Intelligenzwesen, das ihr ein Tor aufgestoßen und sich selbst danach gerichtet hatte.
So ging es ihr auch. Ihre Krankheit war auch tödlich, zumindest insofern es ihre geistige Gesundheit betraf.
Also war es nur richtig, die gleiche Konsequenz zu ziehen, wenn alles andere getan war.
Es war doch gar nicht so schlimm!
Gut, sie hatte alles vorbereitet. Den mentalen Imprint. Das Bordgehirn der Fabrik erstellte die Genmatrize und hatte ihr mitgeteilt, dass die funktionsfähigen Biogeneratoren als wichtige technologische Grundlage angesehen wurden und aus diesem Grund nicht der Ausschlachtung anheimfallen würden. Es war alles perfekt gelaufen, ein Prozess ohne Schmerzen und dann auch noch relativ schnell, basierend auf den Scans, die die Fabrik zu Beginn ihrer … Beziehung durchgeführt hatte.
Aber Sudeka hatte sich auch beruhigt, war nicht mehr so angespannt und ängstlich. Ja, die Tage in der Stadt hatten sicher zu ihrer inneren Unruhe beigetragen, und die Ereignisse der letzten Wochen würden Menschen mit weniger starker Persönlichkeit sicher aus der Bahn werfen, irre werden lassen.
Dafür hatte sie sich dann doch noch ganz gut gehalten, wie sie nunmehr feststellte.
Sie betrachtete die Datenmuster auf ihrem Computer. Die Biofabrik führte eine durchaus nicht einfache Operation durch: verband die Biodaten der ursprünglichen Sudeka mit den Erinnerungsmustern bis zum jetzigen Zeitpunkt. Sollte jemals der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass ein Schiff des Raumcorps hierher gelangte, würde eine Sudeka erschaffen werden ohne Virus – ja immun dagegen, zumindest für eine geraume Zeit –, mit den Erinnerungen der aktuellen Sudeka , mit ihren Wünschen und Träumen, aber vor allem ihrer Entschlossenheit, diesem System ein Ende zu bereiten oder dabei zumindest zu helfen.
Andererseits …
Diese Hilfe konnte auch ganz anders aussehen. Es gab eigentlich gar keine Notwendigkeit, dieses System zu stürzen. Das Virus hatte doch durchaus positive Auswirkungen: Er verlängerte
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