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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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er dann auch noch zufällig eine Reportage über Velvet Underground im Fernsehen sah, erschien ihm stante pede eine Vision vom neuen Spargel. Die Frisur von John Cale!
    Zunächst mal musste er zehn Kilo abnehmen und sich die Haare wachsen lassen, ein Prozess, der die Geduld von Olaf Keune auf eine harte Probe stellte, denn wenn ihn einmal eine Idee begeisterte, dann musste sie möglichst sofort in die Tat umgesetzt werden können. Das zu einem Pagenkopf geschnittene, blonde Haar färbte er schwarz, was seine schneeweiße, zu Fett neigende Haut hervorhob. Dazu trug er farbenprächtige Hemden. Da seine Phantasie keine Grenzen kannte und sein eigenwilliger Geschmack nicht mit dem aktuellen Warenangebot zu vereinbaren waren, gab er bei einer hübschen Schneiderin bei ihm um die Ecke verschiedene Hemden in Auftrag. Eines seiner schrillsten Teile war ein kurzärmliges, weites Hemd aus weinrotem Nylonstoff mit golddurchwirkten Ornamenten und goldenem Kragen. Vera hatte von dieser Entwicklung nichts mitbekommen, deshalb blieb ihr glatt der Atem weg, als sie Olaf nach einem Jahr und vierundzwanzig Tagen in eben diesem Kleidungsstück wiedersah. Aber sie blieb trotzdem. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass Liebe blind macht.
    Leider war Olaf nicht der schlaksige, spindeldürre Typ, der er gern gewesen wäre, so wirkte er eher wie ein etwas zu stämmiger bunter Hund. Eine Zeit lang konnte er sich ohne Schwierigkeiten selbst etwas vormachen, denn seine Euphorie hielt an, denn seine Welt war jetzt psychedelisch und vieles, was er vorher verschmäht hatte, total abgefahren, seine Freunde waren Brüder und die Frauen Schwestern. Hätte nur noch gefehlt, dass er die unfreundliche Tussi beim Schlecker, wo er sein Klopapier kaufte, Schwester genannt hätte. Und Vera, Vera war keine Schwester, auch wenn sie sich noch so darum bemühte. Es war doch alles in Ordnung gewesen, eine Zeit lang, bis jetzt. Aber es lag in Veras Augen, das, was er sich nicht eingestehen wollte. Er sah an sich herunter und spürte, dass eine Wut in ihm wuchs, die, würde sie sich entladen, schreckliche Auswirkungen haben konnte, wenn er sich nicht sofort dieser Jeans und dieses zerknitterten blau-grünen Hemdes entledigte. Erst nachdem er sich zum zweiten Mal an diesem Abend umgezogen hatte, atmete er befreit auf. Es klingelte. Die nächste halbe Stunde brachte 80 DM Reingewinn.
     
     
    Sie nahmen den Weg durch die Einkaufszone, die jetzt öd und leer wirkte. Nur ein paar Penner saßen angeleuchtet von den Notlichtern in den Eingängen der Geschäfte. Einer lallte ihnen etwas zu.
    „Arme Schweine“, meinte Vera, „selber schuld“, der Freese.
    Das Elend anderer hatte ihn noch nie gekümmert. Wo käme man da hin.
    „Du bist ja drauf! Das kann man auch nicht immer sagen, selber schuld. Es ist die Gesellschaft.“
    „Ja und, die Gesellschaft! Wir leben eben in einer kapitalistischen, ichbezogenen Gesellschaft. Du denkst doch wohl auch zuerst an dich, oder spielst du lieber barmherzige Schwester für die armen Schweine? Na also! Man muss sich nur klar zum Egoismus bekennen. Viel gesünder als das scheinheilige Getue.“
    Vera murmelte etwas. Es gab kein Argument gegen Freeses Kaltschnäuzigkeit.
    Nach einer Weile passierten sie einen großen Schotterplatz, der in der Dunkelheit lag und so manches verdeckte: Stricher bei der Arbeit, kleine Messerstechereien oder Paare, die es im Auto trieben. Dann kam die Zone mit den Bars, Peepshows und dem Jungbrunnen, ein Striplokal, in dem Micha, ein Freund vom Freese, als Kellner arbeitete. Von hier aus sah man schon die Leuchtschrift des Hades.
    Ursprünglich als Nobelschuppen eröffnet, hatte das Hades in den zwei Jahren seiner Existenz zigmal den Besitzer gewechselt und war immer weiter heruntergekommen, was bei der Lage nicht verwunderlich war. Schlimme Gegend, sozusagen. Seitdem die Dekadenz Einzug hielt, lief der Laden besser, beziehungsweise: hier spielte die Musik. Am Wochenende, wenn die Fertigen und die Stammkunden erst spät nach Mitternacht aufkreuzten, vergnügte sich sogar die rotwangige Jugend aus dem Hochsauerlandkreis, schwarz gewandete Sprösslinge aus der unteren und gehobenen Mittelschicht. Der Freese hatte hier schon ein Vermögen verprasst, sprich das Vermögen von seinen Alten, die nichts dagegen hatten, dass sich der Junge ein bisschen amüsierte. Rauch- und Alkoholdunst schlug ihnen an der Kasse entgegen. Als sie unter dem Schein greller Lampen den Eintritt bezahlten, drückte ihnen der dicke

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