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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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Schmerz – bis in seine sichere Burg im vierten Stock. Er wollte aber vergessen. Alles, was schön war. Das Schöne war kompliziert, verklemmt, sprachlos, traurig. Ihr Mund, ihr Geruch, ihre weiße Baumwollunterwäsche, sein Kopf im fruchtig-feuchten Grab zwischen ihren Beinen, daraus durfte er nicht mehr machen als es war. Ja, es war gut, dass Martina kam. Die hatte immer irgendwas zu erzählen, rauchte mit ihm, und auf ihrem Balkon stand ein Kasten Bier, falls Besuch käme. Martina war echt ne nette Frau.
     
     
    Dirk Freese überlegte, was er sagen sollte. Das war höchst ungewöhnlich, denn normalerweise tat er nichts anderes als reden und übertraf darin sogar den Spargel, wenn der breit war, zumindest was die Redegeschwindigkeit anging. Entweder machte der Freese eines Tages Karriere oder jemand stopfte ihm das Maul, es gab nur diese beiden Möglichkeiten. Jemand, der zufällig nicht gut drauf war, den konnten schon mal Gewaltphantasien überkommen bei dem Gelaber, das von ständig wippenden Füßen und diesem unsteten, hin und wieder scheelen, Blick begleitet wurde. Es lag immer etwas Gehetztes in seinem Gesicht und seinen Gesten. Durch das ewige Herumzappeln hätte er sich fast zur Karikatur seiner selbst gemacht, wäre da nicht dieses Ätherische gewesen, eine Art verlorene, einsame Zartheit, die man hinter seiner Blässlichkeit ahnte. Aufgrund seiner nie stillstehenden Motorik bekam man den Eindruck, dass er ein unerschöpfliches Energiepotential besaß, welches aber oft genug von dem weißen Pulver kam, mit dem er sich wach hielt, weil er nichts verpassen durfte. In Dirk Freese wurzelte eine panische Angst, nicht der Erste zu sein, der die Neuigkeiten erfuhr. Die geringste Unaufmerksamkeit konnte einem eines Tages zum Verhängnis werden und von der großen Chance würden nur noch die Schlaglichter zu sehen sein. Jeder bekommt im Leben eine Chance, davon sind auch die Bewohner des Ruhrgebiets nicht ausgeschlossen.
    Dirk Freese wusste immer, was los war in der Stadt, wer mit wem gevögelt hatte, welche Filme man sich ansehen, was man lesen musste, wer wichtig war. Reine Sympathie war sicher nicht der Grund, weshalb er sich an einen alten Loser wie den Spargel hängte. Er frequentierte dessen Küche wie eine Schabe, die den richtigen Ort gefunden hatte, um sich durchzufressen. Er vergnügte sich, während er mutig und weit in die Ferne, vielleicht schon bis ins nächste Jahrzehnt, blickte.
    Das Merkwürdige war, dass trotz seiner ständigen Anwesenheit niemand richtig über ihn Bescheid wusste. Der Sohn vom Gardinen-Freese, dem alten Geschäft im Kreuzviertel, war das einzig Konkrete, was man wusste. Er quatschte einem zwar permanent die Ohren voll, aber über ihn selber erfuhr man irgendwie nichts. Der Freese hatte keine Vergangenheit. Er gehörte zum Beispiel keiner Gruppe oder Richtung an und hatte wohl auch nie einer angehört. Zumindest wäre das ein Anhaltspunkt gewesen, man hätte ihn einordnen können. Aber nein, er war einfach irgendwann aufgetaucht und keiner konnte mehr sagen, wo und wann das war. In regelmäßigen Abständen kreuzte er bei einem auf, ob man wollte oder nicht. Meistens wollte man nicht.
    Der Gegensatz zwischen dem Freese und den schrägen Vögeln und Nichtsnutzen, die kaum noch ihre Stadthöhlen verließen, konnte größer nicht sein. Unter all den müden Kriegern musste er ja zu der Erkenntnis kommen, dass er nicht nur besser, sondern auch etwas Besonderes war. Anstatt weiterhin seine falsche Freundlichkeit zu pflegen, beschloss er, sich über alle zu erheben und legte sich den mittlerweile unverkennbaren zynischen Zug um den Mund zu. Seit jenem Tag nannte ihn niemand mehr beim Vornamen, er war nur noch „der Freese“. Ein eingebildetes Arschloch eben, wusste man ja schon immer. Der war eben so.
    Vera kannte ihn flüchtig, hatte kaum drei Sätze mit ihm gewechselt und gestand sich ungern ein, dass er von den ganzen Typen, die zu Olaf kamen, die angenehmste Gesellschaft war. Neben ihm fühlte sie sich sicher. Die Freeseschen Antennen hatten das bereits registriert. Es gab da Parallelen zwischen ihnen, eine Art Code, durch den man sich verstand, obwohl man so tat, als verstünde man sich nicht.
    „Wie läuft´s denn so mit der Fotografie da unten in Bayern?“
    Na, bestimmt besser als hier! Oder was glaubst du?“
    Der Freese zuckte mit den Achseln. Eingebildete Kröte, dachte er. „Ich wüsste nicht, warum. Was fotografierst du denn, wenn man fragen darf?“
    „Ich bin auf

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