Revierkönige (German Edition)
abgesetzten Cowboystiefel, die die Füße des Individuums nach außen lenkten, während die Absätze sie gleichzeitig nach hinten kippen ließen. Wie konnte man nur solche Stiefel anziehen? Sie waren nur noch ein paar Meter voneinander entfernt, da lachte der Typ ihn plötzlich an. „Halloo!“
„Hallo“, grüßte Olaf verwirrt zurück. Nun fiel es ihm ein. Das war der, mit dem der Freese mal im Opossum stand und der Anwalt werden und seine Freundin beim Fremdgehen erwischen wollte. Wieso grüßte der ihn so freundlich? Sie kannten sich doch gar nicht. Während er in Gedanken versunken weiterlief, am Postamt vorbei- und weiterlief, Schritt für Schritt die dunkelgrauen, quadratischen Platten des Bürgersteigs durchmaß, da erkannte er plötzlich alles wieder. Als hätte sich der Nebel, der seit seiner Ankunft über allem lag, gelichtet. Er erkannte die Tristheit und die Grauheit, aber auch die Frische nasser Bäume, den Geruch von Blüten und den, der aus den Kneipen kam, die in den Häusermauern klebten, er erkannte die alptraumhaften, gekachelten Einfahrten, die zu einem Innenhof führten, in dem man gern etwas gefunden hätte – etwas Wahres, ein Geheimnis –, in dem aber immer nur Plastikmülltonnen neben der Desillusionierung standen; er erkannte die Blicke, die Menschen in der Straßenbahn durchs Fenster warfen, er erkannte Bonde´s Grill neben dem An- und Verkauf von Gold Kuyumcu, er erkannte das Neonlicht im Supermarkt, die Farbe des Kittels der Kassiererin, die Schlichtheit mancher Gesichter, er erkannte drei Fahrräder, die an einen Laternenpfahl angekettet waren, einen Spielplatz, eine Bushaltestelle, einen Imbissstand. Er setzte sich auf eine freie Holzbank auf dem Nordmarkt und betrachtete drei alte türkische Männer in dunklen Anzügen, die sich unterhielten, jeder von ihnen hielt eine Plastiktüte in der Hand.
Eines Tages werde auch ich ein alter Mann sein, dachte er und sah auf seine bequemen schwarzen Schuhe, in denen er warme Füße hatte. Auch das erkannte er. Und außer den bequemen schwarzen Schuhen trug er eine bequeme warme Winterjacke. Hatte er sich vor kurzem gekauft. Er sah an sich herunter, betastete den robusten Stoff und besah sich die Taschen, in denen wieder Taschen mit Reißverschlüssen eingearbeitet waren. Gute Qualität.
„So was iss praktisch, kann man den ganzen Winter über tragen, da brauchste nichts anderes mehr. Sonne Jacke habbich noch nie gehabt. Hättich früher auch nich angezogen. Tja, jetzt hat man jeden Monat seine Kohle auffem Konto, und man weiß, dass die nächsten und übernächsten Monat auch kommt. Es sei denn, man würde jetzt die totale Scheiße bauen und entlassen werden. Obwohl, so schnell könnense einen auch nich rausschmeißen. Der Job iss eigentlich ganz o.k., also Stress, wenn ich ehrlich bin, habbich da nich, echt nich. Man iss so Mädchen für alles, berät die Leute, zeigt denen, wo was steht, ma Kasse machen und so. Und alles was mit Holz und Holzverarbeitung zu tun hat, da bin ich sowieso für zuständig. Nichts Dolles, aber dafür kann man sich ne einigermaßen vernünftige Hütte leisten, das iss einfach wichtig. Man könnte da sogar noch mehr draus machen, ich bin noch am überlegen, aber da muss ich bestimmt ´n paar Sachen mit dem Vermieter abklären. — Echt geil die Jacke, die wärmt vielleicht! Da verschwindet man richtig drin. – Man verschwindet überhaupt. Du denkst, es verändert sich nichts und eines Tages haste plötzlich das Gefühl, es hat sich was verändert, du kannst aber nich sagen, was. Es sind irgendwie andere Leute auffer Straße, die sehen anders aus als du, die tragen andere Klamotten und kucken dich nich an. Man wird unsichtbar. Eigentlich iss das ganich so schlecht. Man muss einfach ma zufrieden sein. Träumen kann echt anstrengend sein, wenn man sich das ma richtig überlegt.“
Man wird ein zufriedenes Arschloch.
„Ja und? Iss doch schön, König zu sein.“
Jetzt kuckter blöd, wa?
–Ende–
Impressum:
Text: Daniela Gerlach
© copyright by Daniela Gerlach, 2013
Cover-Gestaltung: José Manuel Peña, 2013
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hintergrundinformation zum Buch:
Die
Revierkönige
haben einen langen Weg hinter sich. Er begann im Sommer 1998. Ich setzte mich mit einer Idee an den Schreibtisch und innerhalb weniger Wochen entstanden Kurzgeschichten, die hießen: Spargel, Skin-Hansi, Motte, Der Freese, Micha, Bert, Frank Diepenbrock. Ich
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