Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rheinmaerchen

Rheinmaerchen

Titel: Rheinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Brentano
Vom Netzwerk:
Liebesneid!
Was hast du gesponnen so lange Zeit?
    Liebesneid:
    Ich habe gesponnen zwölf Mühlstein rund –
Zwölf Mühlstein im dunkeln Haus,
Die wider die Liebe geschworen den Bund,
Zwölf Knappen füllen sie aus.
    Frau Lureley:
    Töchterlein, Töchterlein Liebesfreud!
Was hast du gesponnen so lange Zeit?
    Liebesfreud:
    Ich habe gesponnen den Perlenkranz
Gesponnen den Perlenstrauß,
Der schmücket die holde Braut zum Tanz,
Der schmücket die Liebste zu Haus.
    Frau Lureley:
    Töchterlein, Töchterlein Reu und Leid!
Was hast du gesponnen so lange Zeit?
    Reu und Leid:
    Ich habe gesponnen die goldne Kron,
Die Krone im dunklen Haus,
Die reichet dem Vater zu Dank der Sohn
Und ziehet den Pelzrock ihm aus.
    Frau Lureley:
    Töchterlein, Töchterlein Mildigkeit!
Was hast du gesponnen so lange Zeit?
    Mildigkeit:
    Ich habe gesponnen drei Krönelein,
Drei Krönelein im dunklen Haus,
Zu schmücken die artigen Söhnelein,
Goldfischlein und weiße Maus.
    Als sie so gesungen hatten, stand die schöne blonde Frau auf und sprach zu mir: »Nun, lieber Radlauf, komm!« – und da nahm sie mich mit einer überaus holdseligen Miene an der Hand und führte mich durch die Wellen, die wie zwei Mauern von Kristall fest neben uns hinliefen; vor uns aber ging erst Herzeleid mit ihrem schöngestickten Samtkissen, dann Liebesleid, neben der die drei Elfenbeinsärge herschwammen, ihr folgte Liebeseid mit einer goldnen herzförmigen Kapsel, Reu und Leid mit einer goldnen Krone, Mildigkeit mit drei kleinen Kronen, Liebesfreud mit Perlenkranz und Perlenstrauß. Dann ging ich an der Hand des lieben blonden Wasserfräuleins, und hinter uns ging Liebesneid mit einer Rute und trieb die zwölf Mühlsteine wie eine Herde Schafe vor sich her. Bald kamen wir an einen Felsen, der sich auftat, und nun stiegen wir viele Treppen hinan, bis wir in einem gewölbten Saale ankamen; da stand ein großer Tisch von gewachsenem Erz, und oben an dem Tisch saß ein uralter Mann; er stützte sein bleiches Angesicht auf seine zwei Hände, seine Ellenbogen ruhten auf dem Tisch, sein silberweißer Bart war durch den Tisch durchgewachsen und glänzte wie Asbest, seine Augenbrauen waren auch sehr lang, und seine Augen sahen unter ihnen durch eine große blitzende Brille wie zwei traurige Gefangene hervor; er hatte einen Schäferrock an von dem zartesten Lammfell, einen breiten goldgelben Schäferhut auf, auf dem die Fürstenkrone befestigt war, und um seinen Nacken hing ein Lamm, dessen Beine über seine Brust zusammengebunden waren; in seinem Arm lehnte ein hoher weißer Schäferstab; an seiner Seite hing ein Dudelsack von einem schwarzen Bocksfell; neben ihm saß ein zottiger Schäferhund mit seiner Laterne im Maul. – Er war ganz still und schien mit offnen Augen zu schlafen; zu seiner Rechten saß der Grubenhansel in seinem Knappenhabit, dann saß der Kautzenveitel in seinem Eulenwams, und dann der Kohlenjockel in seiner Kohlenjacke; alle in derselben Stellung, alle ganz still; die zwölf Knappen aber saßen ringsum auf der Erde mit dem Rücken an die Wand gelehnt.
    Erstaunt über diesen Anblick wollte ich fragen, ob dieser alte wunderbare Schäfer mein ältester Ahnherr sei, und ob alle meine andern Urväter hier tot seien oder nur schliefen. Aber die liebe blonde Frau Lureley hielt mir den Mund zu und winkte mir mit dem Finger, zu schweigen; hierauf begann sie mit einer hellen Silberstimme zu singen:
    Heil dem, der die Zeit erfüllet,
Der die ewgen Maße mißt
Und die Pein mit Schlaf umhüllet,
Wenn die Schuld versühnet ist.
    Damon, der den Fluch gewecket,
Blicke auf und schlafe ein,
Auf die Kissen ausgestrecket
Bettet dich Frau Mondenschein.
    Hans, der treulos auch mißtrauet,
Blicke auf und schlafe ein,
Dir ward auch ein Sarg gebauet.
Dich begräbt Frau Edelstein.
    Veit, dein Trug kam an die Sonne,
Blicke auf und schlafe ein,
Dir ward auch ein Sarg gesponnen,
Dich begräbt Frau Federschein.
    Jockel, der nicht Wort gehalten,
Blicke auf und schlafe ein,
Dich legt wie die andern Alten
In den Sarg Frau Feuerschein.
    Während diesem Liede ging Frau Lureley an dem Tische umher und stieß die vier Alten an: da erwachten sie, sahen sich einander und die Frau Lureley und mich gar innerlich freudenselig an und lächelten und weinten und nickten mir freundlich und küßten mich der Reihe nach auf die Stirne; und auch ich mußte heftig weinen; dann aber sang Frau Lureley wieder, und alle sangen mit:
    Heil dem, der die Zeit erfüllet,
Der die ewgen Maße mißt
Und die Pein mit

Weitere Kostenlose Bücher