Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
konnte es nicht einschätzen. Es konnte jedenfalls nicht mehr lange dauern, bis die Verstärkung eintreffen würde. Julia Freitag stand keine zwei Meter von ihm entfernt. Das blitzende Metall der scharfkantigen Klinge funkelte noch immer in ihren Händen.
Mit der Äußerung, dass er Freitag erschießen würde, hatte er anscheinend Wirkung erzielt. Sie nahm es ihm ab. Er selbst jedoch wurde von einer Welle von Zweifeln gepackt. Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Ob Laura das verstehen würde?
Plötzlich vernahm er Schritte. Schritte von schweren Stiefeln. Es würde nicht allzu lange dauern, bis sie den Weg in den Keller finden würden. Auch Freitag war das nicht verborgen geblieben, sie schloss ihre Faust enger um das Messer.
»Es tut mir leid, Herr Kommissar. Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich tue es auch.«
Sie riss den Kopf Hübners an den Haaren in den Nacken, dass die Kehle pulsierend hervortrat. In den Augen des Mannes flackerte die Gewissheit, dass seine letzte Stunde geschlagen habe. Dann setzte sie die Klinge an, und ein Schuss fiel. Julia Freitagstürzte zu Boden und sackte augenblicklich zusammen. Sofort sprang Seeberg zu ihr ans Bett und sah, wie ihre Bluse sich in der Bauchgegend blutrot färbte. Dann drehte er sich zu Hübner, sah ihm in die Augen und ekelte sich vor sich selbst. Er hatte diesem Perversen das Leben gerettet. Doch Hübners Pupillen schwollen plötzlich erneut an, doch blickten sie an dem Kommissar vorbei über seine Schulter. Seeberg wusste sofort, dass er einen Fehler begangen hatte. Er spürte, wie ihm das Fleisch in der Hüfte zerfetzt wurde, als die Klinge ihn traf. Doch dank des Adrenalins verspürte er kaum Schmerzen, und er wusste nicht, ob er nur verletzt oder tödlich getroffen war. Er wirbelte herum und traf Freitag mit einem weiteren Schuss. Beide sackten zu Boden und atmeten schwer. Sie sahen sich stumm an. Seeberg kroch zu ihr hinüber. Mit letzter Kraft zog er sich zu ihr, legte seinen Arm um ihren Körper und nahm ihre Hand.
»Es ist gleich vorbei, Julia. Ich bin bei dir.«
Freitag fehlte die Kraft, um zu antworten. Blut lief ihr aus dem Mundwinkel, aber sie nickte und drückte die Hand des Kommissars, bis ihre Augen den Glanz verloren. Er strich ihr die Augenlider zu und bemerkte, dass er weinte. Seit Tagen und Wochen die ersten Tränen. Dann sank Seebergs Kopf auf seine Brust, und er hoffte, dass es nun auch für ihn zu Endegehen möge. Stimmen kamen näher, doch seine Gedanken verloren sich in dem Moment, als das Einsatzkommando ins Zimmer stürmte.
Epilog
Die gläserne Auszeichnung lag achtlos neben ihm auf dem Beifahrersitz. Es war alles genau so gekommen, wie Seeberg es sich vorgestellt hatte. Bornemann hatte eine Pressekonferenz einberufen und die Arbeit der Polizei gelobt, die schließlich zum Ergreifen der Täterin geführt hatte, und damit natürlich sich selbst gemeint. Die Entscheidung, Klaus Seeberg mit diesem Fall zu betrauen, sei ihm in keiner Sekunde schwergefallen, da er voll und ganz auf die Fähigkeiten seines Teams vertrauen könne. Dann wurde dem Kommissar eine Auszeichnung in die Hand gedrückt, und Blitzlichter zuckten im Raum. Eckstein bekam sein Exklusiv-Interview, und Bornemann nahm den Kommissar väterlich in den Arm und grinste in die Kameras.
Zunächst hätte Seeberg dem Vizepräsidenten am liebsten einen Kinnhaken verpasst. Jetzt amüsierte ihn dieser Gedanke eher, und er musste über so viel Scheinheiligkeit schmunzeln. Doch die Schmerzen in seiner Hüfte ließen das Lächeln binnen einer Sekundeerlöschen. Seeberg griff sich in die Seite. Er würde noch eine ganze Weile auf ein befreites Lachen verzichten müssen, was ihm aber nicht schwerfallen würde. Er dachte daran, was ihm die Ärztin gesagt hatte, nachdem er im Krankenhaus wieder zu sich gekommen war. Sie hatte ihn angelächelt und gesagt, dass er Glück gehabt habe. Wäre der Schnitt ein wenig tiefer gewesen, hätte man ihn nicht retten können.
Glück?, dachte er, darunter verstand er etwas anderes.
Seeberg fuhr weiter durch die Nacht. Nachdem er die Pressekonferenz vorzeitig verlassen hatte, war er ziellos durch die Stadt gefahren. Zunächst vom Polizeipräsidium aus durch Neuenberg und vorbei am Gelände der ehemaligen Landesgartenschau. Über die Hornungsbrücke fuhr er über den Rosengarten zurück in die Innenstadt. Er wollte noch nicht nach Hause. Dort würde ihm nur die Decke auf den Kopf fallen, und die Gedanken an Laura würden von ihm Besitz ergreifen. Ein Blick
Weitere Kostenlose Bücher