Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
grundsätzlich tot oder werden ganz einfach verschwiegen (nur Erda west als außereheliche Mutter Brünnhildes durch den Ring , hat aber keinerlei Kontakt mehr zu ihrem Kind, und Isoldes Mutter tritt nicht in die Bühnenhandlung ein), Väter sind immer Witwer, und Ehen bleiben kinderlos, sind so gut wie immer unglücklich, zumindest kriselnd, von vornherein zum Scheitern verurteilt, oder sie werden gar nicht erst vollzogen. Kurz gesagt: es gibt in keiner Oper Wagners nach den Feen eine intakte Familie. Liebe erweist sich ausnahmslos, mit Wagners theoretischem Hauptwerk Oper und Drama (1850/51) zu reden, als »Aufwieglerin« (GS IV, 56) gegen gesellschaftliche Institutionen und Konventionen. Allein in den Meistersingern wird schließlich eine – reichlich schwankende – Brücke zwischen Liebe und Etikette geschlagen.
Die Feen bilden als Hoheslied der Ehe also eine merkwürdige Ausnahme in Wagners Werk. Dass er sich später von seiner ersten Oper so entschieden getrennt hat – so radikal wie von keinem anderen seiner Bühnenwerke –, hängt gewiss mit dem unbehaglichen Gefühl zusammen, sein wahres künstlerisches Wesen hier zugunsten seiner Familie zu einem guten Teil verleugnet, thematisch und von der Opernform her der Konvention Tribut gezollt zu haben, die er in der Hochzeit schon so schonungslos durchbrochen hatte. Habe er »bei der Ausführung der Hochzeit allem Opernschmucke entsagt und den Sto ff in schwärzester Ungebrochenheit gegeben«, wie er in seiner Autobiographie schreibt (ML 81), so stattete er die Feen nun »mit aller nur irgend verträglichen Mannigfaltigkeit« aus (ML 81). Über das Textbuch der Feen schreibt Wagner, er habe die Verse und die »poetische Diktion« fast absichtlich nachlässig behandelt, denn es sei ihm nicht mehr wie in früheren Jahren darauf angekommen, als Poet zu gelten, sondern: »Ich war wirklich ›Musiker‹ und ›Komponist‹ geworden und wollte mir einen gehörigen ›Operntext‹ machen, von welchem ich einsah, daß mir ihn niemand anderes machen könnte, eben weil ein Operntext, als solcher ganz für sich, etwas Besondres sei, was ein Dichter und Literat gar nicht zustande bringen kann.« (ML 81) Die in Anführungszeichen gesetzten Begri ff e verwendet Wagner mit ironischem Vorzeichen, wird es doch die Grundtendenz seiner späteren Reform des Musiktheaters sein, den Dualismus von Operntext und Musik zu überwinden, den Text über das bloße Mittel zum Zweck der Musik hinauszuheben und den ›Komponisten‹ in den Dramatiker zu verwandeln. Dichtung und Musik sollen im »Kunstwerk der Zukunft« in paralleler und gleicher Weise auf den »Zweck« des Dramas verp fl ichtet werden (GS III, 231). Von diesem Ziel sind die Feen nach Wagner indessen noch weit entfernt.
Wiederum hat bei dieser Oper E. T. A. Ho ff mann Pate gestanden. Wagner kannte dessen Erzählung Der Dichter und der Komponist aus dem Zyklus Die Serapionsbrüder . In diesem fi ngierten Dialog wird das Ideal eines »musikalischen Dramas«, einer »romantischen Oper« entworfen, in der »die Musik unmittelbar aus der Dichtung als notwendiges Erzeugnis derselben« hervorgeht. Der fi ktive Komponist, der so redet, vertritt nun die Meinung, die »Fiabe dramatiche«, die zehn Märchenstücke von Carlo Gozzi, seien in dieser Hinsicht ideale Opernvorlagen: »In seinen dramatischen Märchen hat er das ganz erfüllt, was ich von dem Operndichter verlange, und es ist unbegreiflich, wie diese reiche Fundgrube vortre f f licher Opernsujets bis jetzt nicht mehr benutzt worden ist.«
Wagner wird dieser Anregung folgen und seine musikdramatische Laufbahn mit einer Bearbeitung von Gozzis Märchendrama La donna serpente ( Die Schlangenfrau ) beginnen, das 1762 in Venedig seine Uraufführung erlebt hatte. Damit leitet er die lange Reihe von Gozzi-Opern ein, die sich bis in unser Jahrhundert erstreckt: erwähnt seien nur die Turandot -Opern von Ferruccio Busoni und Giacomo Puccini, Die Liebe zu den drei Orangen von Sergei Prokofjew und König Hirsch von Hans Werner Henze. Richard Wagner ist vermutlich zuerst von seinem hochgelehrten Onkel und Mentor Adolf Wagner auf Gozzi aufmerksam gemacht worden, dessen Märchenstück Der Rabe ( Il corvo ) er übersetzt hat (1804) und den er in seiner Schrift Theater und Publikum (Leipzig 1823) als den Autor preist, der die Komödie wieder aus ihren aufklärerisch-bürgerlich-realistischen Niederungen, also »aus der Alltäglichkeit und Trivialität in die Region der leichten Phantasie«
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