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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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wandte sich um und schaute auf. Ihr Blick war der Anfang gewesen.
Meister Til stützte beide Hände auf den Fenstersims und beugte sich vor. Niemand stand unten in der Gasse. »Es ist noch zu früh«, ermahnte er sich. Erst nach dem Morgenläuten werden die Stadttore geöffnet. »Der Bauer wird Wort halten, er wird seine Frau schon herbringen.«
Weil er nicht mehr gefragt hatte, wusste er nicht viel von Magdalena, nur dass sie erst im vergangenen Winter geheiratet hatte, dass sie die zweite Frau des Bauern war und dass trotz harter Arbeit kaum genug zum Leben übrig blieb. Angesehen hatte er sie. Keine strahlende Schönheit, aber Frau in jeder Geste, dennoch nicht erfahren. »Willst du mir Modell stehen?«
Sie hatte vorsichtig gelächelt, und mit dem Lächeln glitt helle Unschuld über ihr Gesicht, ließ das Grünblau der Augen aufleuchten. »Was heißt das?« Doch als sie begriff, erlosch das Strahlen. »Ich bin nicht so eine, Herr.«
»Dann hätte ich auch nicht gefragt.« Schwungvoll stieg Meister Til vom Pferd. Zu eilig, denn gleich hastete sie aus dem seichten Wasser und zog sich einige Schritte in Richtung des Bauernhauses zurück.
»So bleib doch. Bitte!« Der warme Klang seiner Stimme ließ Magdalena zögern.
»Es soll die Eva sein. Vor dem Südportal der Marienkapelle wird sie stehen, zusammen mit dem Adam.«
»Aber ich kann mich doch nicht so vor allen Leuten zeigen. Ich mein, so ohne was …« »Das musst du auch nicht.« Er bemühte sich, ernst zu bleiben, und zeigte ihr seine offenen Hände. »Ich werde ein Abbild von dir aus Stein schaffen.«
»Aber, Herr, wir leben hier. Und wenn unsere Nachbarn in Würzburg auf dem Markt sind und vor dem Heimweg schnell noch beten wollen? Dann erkennen die mich doch an der Tür von der Marienkapelle.«
»Nein, hab keine Furcht. Ich werde dein Gesicht verändern. Niemand wird dich in der Eva sehen. Außer deinem Mann …«, er zögerte, » … und mir.« Mit gewinnender Aufrichtigkeit setzte er hinzu. »Und ich betrachte dich nur mit den Augen eines Bildschnitzers.«
Eine Weile prüfte Magdalena sein Gesicht. »Ich muss fragen. Wartet, Herr.«
Bald kam sie zurück. Wenige Schritte hinter ihr folgte der Bauer. Jakob Lebart, ein ausgemergelter Mann, fast doppelt so alt wie Magdalena, tief lagen die Augen in den Höhlen. »Reitet weiter, Herr. Für so was hat meine Frau keine Zeit. Wir müssen arbeiten. Die Pfaffen vom Kloster nehmen uns fast alles weg …«
»Ich zahle einen Gulden.«
Der Bauer ballte die Faust, starrte den Fremden an. »Treibt keinen Scherz mit uns.«
»Mein Wort. Ich zahle einen Gulden, wenn deine Frau nach Würzburg zum Hof Wolfmannsziechlein in die Franziskanergasse kommt und mir Modell steht. Vielleicht benötige ich sie zwei Tage, mehr nicht. Überleg es dir.«
»Wenn es wahr ist, Herr, dann gibt es nichts zu überlegen.« Jakob betastete mit beiden Händen seine Wangenknochen, als wollte er sichergehen, dass er nicht träumte. »Das ist mehr, als wir im ganzen Sommer vom Feld heimbringen. Sagt, dass es wahr ist, Herr.«
Meister Til nahm einen Schilling aus der Gürteltasche und reichte ihn dem Bauern. »Nimm, mein Freund. Nur zum Beweis, dass ich es ehrlich meine. Den Gulden gibt es dennoch.« Er stieg wieder in den Sattel. »Sorge dafür, dass deine Frau nächste Woche zu mir in die Werkstatt kommt. Das ist der erste Dienstag im Mai.«
»Du kannst dich auf uns verlassen, Herr.« Jakob hatte den Schatz zwischen den schwieligen Fingern gerieben. »Ich … ich werde Magdalena selbst hinbringen.«
Sie sagte nichts zum Abschied, hob nur das Gesicht zu ihm auf, und Til hatte ihr Lächeln als Versprechen mit auf den Heimritt genommen.
»Erst eine Woche ist es her.« Unmerklich schüttelte er den Kopf. »Kaum zu glauben, aber mir ist, als kenne ich sie schon seit Langem. Als wäre bei der kurzen Begegnung ihr Bild in mir erwacht …«
Draußen vor der Schlafkammer hörte er eilige Schritte. »Vater!«, rief Gertrud, stieß die Tür auf. »Vater! Schnell!« Die Tochter war bei ihm, schluckte und schluchzte: »Komm schnell … Mama blutet.«
Mit hastigem Griff hob Til das Mädchen auf, war schon unterwegs. »Wo, Kind? Wo ist die Mutter?«
»In der Küche.« Die Kleine verbarg das Gesicht an seiner Brust. »Und Mama schnauft so.«
Die Wendeltreppe vom ersten Stock hinunter, zwei Stufen auf einmal, nur die linke Hand am Geländer gab Sicherheit, der lange Flur zum hinteren Teil des Hauses war düster, weit stand die Küchentür offen.
»Anna!«
Immer noch

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