Riemenschneider
schloss ab. In das laute Schnappen rief sie erschrocken: »Nein!«
Er wandte sich um. »Ich verstehe nicht …?«
»Warum tut Ihr das?« Heftig schüttelte sie den Kopf und wartete die Antwort nicht ab. »Nein, lasst mich gehen, Herr. Bitte, ich sage niemandem davon.«
Erst die Furcht in ihren Augen ließ ihn begreifen, sein Lächeln erstarb. »Du kennst mich nicht, denn sonst … Nein, jedes Wort darüber ist unnötig.« Er reichte ihr den Schlüssel. »Bewahre du ihn auf. Ich habe uns nicht eingeschlossen, sondern uns nur vor Störungen geschützt. Jederzeit darfst du die Werkstatt verlassen.« Ein beinah jungenhafter Blick, ein besorgtes Heben der Brauen. »Ich hoffe nur für mein Glück, dass du erst gehst, wenn ich genügend Skizzen angefertigt habe.«
Magdalena nahm den Schlüssel nicht, sah ihn verwundert an. »Ihr seid so freundlich zu mir. Fast glaube ich, dass Ihr mich wirklich braucht … dass die Einladung nicht nur eine Laune von Euch war.«
»Gesucht habe ich nach dir.« Das Braun seiner Augen verdunkelte sich. »Und als ich dich am Bach traf, da …« Er räusperte sich und straffte den Rücken. »Ich danke dir für dein Kommen.« Zielstrebig ging er an ihr vorbei auf das lodernde Kaminfeuer zu. »Deine Aufgabe ist nicht schwer. Du müsstest dich nur …« Wieder blieb der Satz unbeendet. Ehe er den Zeichentisch erreicht hatte, kehrte er um. »Vielleicht sollte ich dich erst ein wenig herumführen. Möchtest du?«
»Gern. Die Räume sind beinah so hoch wie eine Scheune.«
Nicht neben ihr, stets einen Schritt voraus, deutete er auf Stemmeisen und Messer, Sägen und Äxte, er führte sie an den Werkbänken der Schnitzerei vorbei. »Hier arbeiten zur Zeit meine Gesellen. Während ich drüben den Stein behaue.« Seine Hand strich über einen an beiden schmalen Enden eingespannten Holzblock. Grob war schon der Umriss einer Gestalt zu erkennen. »Noch verbirgt sich Johannes Evangelista im Lindenholz. Aber in den nächsten Tagen werden wir ihn aus seinem Versteck herausschälen.«
Magdalena beugte sich über das Stück und sog den Atem durch die Nase ein. »Wie gut er schon riecht. Nein, das war dumm. Verzeiht. Ich wollte nur sagen, ich liebe den Duft von Holz.«
Die Bewegung ihrer Lippen, das leichte Beben der Nasenflügel, nichts entging ihm. »Komm. Lass uns noch einen kurzen Blick in die zweite Halle werfen, dann aber müssen wir mit der Arbeit beginnen.«
Kühler war es, obwohl das Sonnenlicht ebenso hell durch die hohen Fenster strahlte. Auch hier standen Werktische, sie waren schwerer und breiter als drüben. Meister Til wies auf einen Stein, fein geformt war üppiges Blattwerk herausgearbeitet. »Das ist der Sockel für den Adam. Du wirst … nein, du natürlich nicht, sondern die Eva wird auch auf solch einem … Was ist dir?«
Magdalena streckte behutsam den Zeigefinger, dabei wich sie einen halben Schritt zurück. »Da. Der Mann«, flüsterte sie und rundete die Augen.
Er folgte ihrem Blick, gleich stahl sich ein Schmunzeln in die Mundwinkel. »Das ist dein Mann. Was erschreckt dich?« Til ging zu der schlanken, hohen Gestalt aus weißgrauem Sandstein, ihre Lockenpracht überragte ihn eine Handbreit; er strich beide Schultern bis zu den Oberarmen und fuhr mit der Fingerkuppe vom Hals das Brustbein hinunter. »Gefällt er dir etwa nicht?«
»O doch.« Weil die Antwort viel zu rasch hinausgerutscht war, stieg ihr Röte ins Gesicht. »Aber er ist so nackt, deshalb hab ich mich erschreckt. Verzeiht, ich wollte Euch nicht kränken.« Tapfer bemühte sie sich, die Verlegenheit zu überspielen. »Ich mein, schön ist der Adam, wirklich. Und wie er so dasteht, so … Ich mein, traurig ist er.«
»Du kennst die Geschichte von Adam und Eva?«
»Ihr wollt sagen, dass er traurig ist, weil die beiden aus dem Paradies gejagt werden?« Unvermittelt lebhaft trat sie näher. »Hat er denn schon den Apfel gegessen, den ich ihm …? Nein, nicht ich.« Sie lachte leise. »Ach, Ihr versteht schon.«
»Adam hat vom verbotenen Baum der Erkenntnis gegessen. Die Strafe ist noch nicht ausgesprochen, aber er ahnt sehr wohl, was ihn erwartet.«
Magdalena nickte und sah der Figur eine Weile zu. »Ich verstehe. Deshalb setzt er auch den Fuß vor, nur gehen will er nicht.«
»Wenn die Stadtväter dies auch so verstehen, bin ich mehr als zufrieden. Gern wüsste ich, wie meine heilige Magdalena auf dich wirkt. Doch seit letztem Jahr schwebt sie nun schon in Münnerstadt über dem Altar. Eine Engelschar geleitet deine
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