Riley - Im Schein der Finsternis -
diesen Ort erst einmal sieht, aber offensichtlich ist sie schon weiter abgedriftet, als ich geglaubt habe.«
Bodhi sah mich an, und der Strohhalm wippte in seinem Mund auf und ab, als er murmelte: »Vielleicht.«
Ich blinzelte – ich hatte keinen blassen Schimmer, was das heißen sollte.
»Ich meine, wir werden sehen.« Er zuckte die Schultern und nutzte es eindeutig aus, dass ich an seine Gedanken nicht herankam.
Sobald der letzte Sklave über die Brücke gegangen war, musste ich vollkommen verblüfft zusehen, wie Bodhi sich zu dem ehemaligen Höllenhund, der sich in eine winzige, kläffende, undefinierbare Promenadenmischung verwandelt hatte, hinunterbeugte, den hellgrünen Tennisball neben seinen Pfoten aufhob und damit direkt auf die Brücke zielte. Er lächelte triumphierend, als der Ball den Nebel, der die Mitte verschleierte, durchdrang, und der kleine Shucky kläffend und jaulend hinterherjagte.
»Hey! Das ist Betrug!«, rief ich und sah ihn völlig fassungslos an.
Bodhi warf mir jedoch nur einen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Niemand wurde zu irgendetwas gezwungen . Der Hund hat aus seinem eigenen freien Willen gehandelt. Er hat sich dazu entschlossen , dem Ball hinterherzulaufen, ebenso, wie du deinen freien Willen ausgeübt hast, als du hinter ihm hergelaufen bist.« Er ließ seinen Strohhalm in meine Richtung wippen. »Der freie Wille ist eine machtvolle Sache, Riley. Manchmal ist es der einzige Weg, deine wahre Bestimmung zu erkennen. Allerdings erfordert es eine gewisse Portion an Vertrauen – in dich selbst, in das Universum. Aber ich bin sicher, das weißt du bereits.«
Ich nickte, merkte mir sorgfältig seine Worte und speicherte sie für später ab. Ich wusste, dass ich sie noch einmal genau überdenken würde, aber im Augenblick beanspruchte Rebecca meine ganze Aufmerksamkeit.
Ihr fiel das Kinn herunter, ihre Augen wurden unnatürlich groß, und ihre Miene spiegelte Empörung und Überraschung wider, als sie ihren Hund fröhlich auf die andere Seite springen sah.
»Wo ist er hingegangen?«, fragte sie. In ihrer Stimme schwang mehr Verblüffung als Verärgerung.
»Er ist nach Hause gegangen«, erwiderte ich ruhig und sah ihr direkt in die Augen. »Und du darfst ihm gern nachgehen, wenn du möchtest. Die Wahl liegt bei dir.«
Sie schaute zwischen uns hin und her, und was ihre Miene ausdrückte, ließ mich zum ersten Mal an diesem Tag für sie hoffen.
Ich meine, versteht mich nicht falsch – um ihren Mund lag noch immer ein grimmiger Zug, aber trotzdem war es offensichtlich, dass der Kampf, der in ihr tobte, langsam ihren Körper verließ.
Sie schaute uns an, gefangen in einer Welt, in der sie bereits viel zu viel Zeit verbracht hatte. Allmählich öffneten sich ihre Fäuste. Sie starrte in das funkelnde, goldene Licht der Verheißung und flüsterte: »Meine Güte … es ist alles wahr!«
Ich gebe zu, dass ich sie zuerst vollkommen missverstand.
Ich war sicher, dass sie sich auf das Licht bezog, auf das Paradies, das Hier, wie immer man es auch nennen mochte. Es war ein fantastischer Anblick, und wenn man es einmal erblickt hatte, fühlte man sich auf unwiderstehliche Weise davon angezogen.
Aber ich täuschte mich.
Wie sich herausstellte, war es sogar noch besser als das.
Rebecca bezog sich nicht nur auf den wunderbaren goldenen Glanz – sie sprach von der Wahrheit , die sie darin liegen sah.
Eine Wahrheit, die sie so viele Jahre verleugnet hatte, tatsächlich waren es Jahrhunderte. Und nun stellte sich ihr diese Wahrheit auf eine Weise dar, der sie sich nicht mehr verschließen konnte.
Sie sah, wie ihr Leben tatsächlich gewesen war – und auch das Leben von Prinz Kanta. Aber trotz ihres schrecklichen, selbstsüchtigen Verhaltens wurde ihr auch klar, dass es sich nicht um den grauenhaften Ort der Bestrafung handelte, vor dem sie sich insgeheim gefürchtet hatte.
Es war ein Ort der Liebe, Wärme und tief empfundenen Verständnisses.
Ein Ort, an dem sie sich nie wieder so einsam fühlen würde, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.
Sie sah auch den verschwommenen Umriss ihrer Mutter, die in der Mitte der Brücke auf sie wartete.
Und bevor ich mich’s versah, brach ihre ganze Welt zusammen.
Ihre Kugel zersplitterte.
Ihre Seifenblase zerplatzte.
Glasartige Scherben gingen wie ein Hagelschauer nieder, schwebten einen Moment in der Luft und glichen einer schimmernden Sternendecke, bevor sie vor ihren Füßen sanft auf die Erde sanken und mit dem Gras
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