Ringkampf: Roman (German Edition)
Bankentürme in den Himmel.
Steif richtete sich Cora auf. Sie drückte den Flachmann an sich.
Er war wie ein echter Regisseur gestorben. Strich für Strich hatte er sein Ableben im Skizzenbuch entworfen. Flüchtige Figuren, ineinandergeschobene Linien, krause Schnörkel umrankten den gesunkenen Schädel. Unter dem Nasenflügel kroch steile Schrift hervor. Cora bettete das fahle Gesicht auf die andere Seite. Zehn Zeilen krallten sich in das Papier.
Fahre denn hin,
herrische Pracht,
göttlichen Prunkes
prahlende Schmach!
Zusammen breche
was ich gebaut!
Auf geb ich mein Werk,
nur eines will ich noch.
Das Ende – –
Das Ende! –
Die Dramaturgin trat ans Fenster. Unbewußt summte sie die morschen Melodiefetzen, mit denen sich der blanke Text sonst verhüllte. Wotan hatte Schluß gemacht. Ihre Finger trommelten auf dem Flachmann.
Er hatte sterben müssen. Seine Existenz war ein Soll-Bruch gewesen.
Lebenslänglich hatte er sich selbst im Nacken gesessen, war hinter dem Anderen hergejagt, das ihn von sich selbst befreien sollte. Nur deshalb hatte er inszeniert.
Nur deshalb hatte er geliebt. Und immer wieder war er auf Opern und Frauen gestoßen, in denen er sein Erlösungsmittel gewittert hatte. Er hatte sich an sie geklammert und in sie gewühlt. So lange, bis ihm nur noch der eigene Mundgeruch entgegengeschlagen war. Die Welt warihm zum Spiegelkabinett geworden.
Ein flaues Lächeln wischte durch Coras Gesicht.
Und doch hatte es etwas gegeben, das ihn noch heftiger gequält hatte als seine selbst geschaffenen Zerrbilder: die echten Marmorskulpturen, die sich seinen Atem nicht hatten einhauchen lassen.
Wotan hatte Schluß gemacht. Aus dem Flachmann roch der Wodka.
Ein Schwindelanfall zwang Cora auf die Couch. Der abgerissene Gott haderte über dem Schreibtisch. Ihre Finger harkten das kratzige Polster.
Schluß gemacht. Etwas verfing sich unter ihrem rechten Daumennagel.
Es war ein schwarzes Haar. Ein Frauenhaar. Jedoch nicht lang genug, um eins von ihr zu sein. Nachdenklich rieb es Cora zwischen ihren Fingern. Sie schnupperte. Ihre Bewegungen gefroren. Es war nicht das Haar. Sie schnupperte noch einmal. Zögernd führte sie die Finger unter die Nase. Und plötzlich stiegen aus dem faden brenzligen Geruch die Worte, nach denen sie die ganze Zeit gesucht hatte.
Verschwinde. Ich habe Schluß gemacht. Es ist besser so. Für dich. Und für mich. Es geht nicht mehr .
Die Brandnacht. In der Brandnacht hatte er schon einmal Schluß gemacht. In der Brandnacht hatte er sich halbtot gesoffen. In der Brandnacht war sein Ring vernichtet worden. Cora schlug die Hand vor den Mund.
»Oh mein Gott«, stammelte sie, »oh mein Gott|... du?«
Fassungslos starrte sie auf den toten Regisseur am Schreibtisch. Ihre Finger krampften sich um den Flachmann. Ohne es zu merken, stürzte sie den restlichen Wodka hinunter.
VIERTER AUFZUG
»Alles! Alles! Alles weiß ich: Alles ward mir nun frei!«
Brünnhilde, Götterdämmerung, 3. Aufzug
46
Drei Frauen reihten sich auf dem Besuchersofa. Widriges Schicksal hatte sie im Zimmer des Generalmanagers zusammengeführt. Sie sahen einander nicht an.
Elisabeth Raven-Winterfeld hing mit verquollenen Augen in der linken Ecke des Sofas und schluchzte. Kraftlos hielten ihre Hände ein Papiertaschentuch.
Cora Starneck saß steif am anderen Ende der Couch. Ihre Augen verschwanden hinter schwarzen Gläsern.
In der unbehaglichen Mitte hockte Frankfurts Kulturdezernentin. Sie wünschte, das honiggelbe Leinenkleid, zu dem sie der strahlende Morgen verleitet hatte, möge sich schamhaft verdunkeln.
»Gibt es denn nichts anderes im Repertoire, mit dem sich die Wiedereröffnung bestreiten ließe«, fragte sie vorsichtig in Richtung Walnuß-Schreibtisch.
Generalmanager und Intendant schwiegen.
Renate Krösch wagte einen letzten Versuch. »Was hielten Sie zum Beispiel von der Zauberflöte? Das war doch eine sehr gelungene Aufführung.«
Benito Bellini erwachte aus seiner düstren Erstarrung. » Per carità «, stöhnte er. » Zauberflöte! Ich werde dieses Opernhaus entweder mit dem Ring eröffnen oder gar nicht!« Er warf der Kulturdezernentin einen vernichtenden Blick zu. »Und wenn ich den Ring konzertant aufführe!«
Renate Krösch seufzte stumm. »Ja, vielleicht wäre in der momentanen Situation eine konzertante Aufführung tatsächlich der praktikabelste Ausweg«, sagte sie ohne rechte Begeisterung.
»Verehrte Frau Krösch und verehrter Direttore!« Hermann Preuss nahm seine Brille
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