Ringkampf: Roman (German Edition)
Schaukelseile. »In welchem Programmbuch soll deine Enthüllungsstory über den Opernbrand denn erscheinen«, fragte erbeißend. »In Götterdämmerung? «
Die Dramaturgin schaute ihn überrascht an. Er musterte sie kalt. »Meinst du, ich kriege nicht mit, was du seit Tagen hier treibst? – Cora, was soll das? Bei dieser Produktion ist wahrlich schon genug Scheiße passiert. Und du hast nichts Besseres zu tun, als die Leute auch noch verrückt zu machen, indem du in irgendwelchen alten Geschichten rumwühlst.« Zornig stieß er die Schaukel an.
»Mein Liebster«, sagte sie trocken und rieb sich die Nasenflügel, »ich habe den Eindruck, der einzige, den ich hierverrückt mache, bist du.«
42
»Gwendolyn, ich liebe dich.« Mit beiden Händen tappte der Regisseur über das verschlossene Gesicht. Erdrückte die Hospitantin fester in die Polsterseiner Arbeitszimmer-Couch.
»Glaub ich dirnicht«, stieß sie hervor und schlug ihre Zähne wieder aufeinander, bevor er seinen Finger dazwischenschieben konnte.
»Wie?« Alexander Ravens Nase durchstreifte das Haar in ihrer Ohrgegend.
»Ich glaub dirnicht«, wiederholte sie gepreßt.
Der Regisseur züngelte an ihrem Trommelfell. »Warum
sperrst du dich so? Was soll ich tun, damit du mir glaubst?« Errammte seine Zunge in ihren Gehörgang.
Die Hospitantin schüttelte sich. Sie starrte über seine Schulter hinweg an die Wand. »Ist der Wotan da echt«, fragte sie.
»Ich liebe dich. Wahnsinnig.« Alexander Raven rutschte an ihr hinab. Ervergrub sein Gesicht in ihrem Schoß.
Gwendolyns Blick klammerte sich an die vergilbte Daguerreotypie. »Zu Hause hatte ich auch mal ein Foto von der Uraufführung«, sagte sie. »War aber kein echtes. « Mit zitternden Fingern zwängte sie einen Kaugummi aus ihrer Hosentasche heraus und steckte ihn in den Mund.
Der Regisseur flüsterte zu ihren Knien. Sein Unterkiefer wetzte bei jeder Silbe an ihren Schenkeln. »Ich habe mich in dich verliebt, gleich als ich dich das erste Mal gesehen habe. In jener verrückten Nacht, wo wir uns im Treppenhaus begegnet sind – am liebsten wäre ich schon damals über dich hergefallen. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie furchtbar es für mich war, jeden Tag neben dir sitzen zu müssen und dich niemals berühren zu dürfen.«
Seine Hände fuhren an ihren Schienbeinen hinab. Leise knatschte der Kaugummi zwischen Gwendolyns Zähnen.
Alexander Raven streichelte ihre nackten Knöchel. »Du bist die einzige hier, die noch lebt«, sagte er. »Wir anderen – wie die Maulwürfe graben wirblind in unserer Vergangenheit herum.« Er richtete sich an ihr auf. Seine trockenen Lippen schabten überihre Wangen.
Die Hospitantin drehte den Kopf zur Seite. »Ich glaube, ich sollte jetzt liebergehen«, murmelte sie.
Alexander Raven verbrannte sie mit seinem Blick. »Deinen Mund kann ich noch küssen, ohne daß es nur meine eigenen abgelagerten Küsse sind, die ich finde.« Ersank wiederaufihren Schoß. »Wenn ich Elisabeth liebe«, flüsterte er, »verschwindet sie unter meinen Händen. Ich kann ihren Körper nicht mehr spüren. Mir ekelt vor mir , wenn ich sie anfasse.«
Wie ein Plüschkaninchen hockte Gwendolyn auf der Couch.
»Mit Cora ist es noch schlimmer«, redete der Regisseur abgehackt weiter. »Nichts bedeutet zwischen uns einfach das, was es bedeutet. Jedes Wort, jede Bewegung erstickt in seinem Panzer von Erinnerungen. Unsere gemeinsamen Geschichten nehmen uns in Einzelhaft.«
Die Hospitantin steckte zwei Fingerin den Mund, zog ein Ende des Kaugummis hervor und dehnte ihn, bis er riß.
Alexander Raven schloß die Augen. »Das, was zwischen zwei Menschen geschieht, bringt sie einander nicht näher. Die Zeit schüttet immer mehr Geröll zwischen ihnen auf, bis sie eines Tages völlig voneinander isoliert sind. Die einzige Liebe, die es geben kann, ist im Augenblick.« Langsam rutschten seine Hände an den Innenseiten ihrer Schenkel hinauf.
Gwendolyn bohrte ihre Zungenspitze in den Kaugummiballen.
Alexander Raven sprach kaum mehr hörbar. »Ich komme mir vor wie eine Spinne, die jahrzehntelang an ihrem Netz gewoben hat, bis sie eines Tages merkt, daß sie sich damit nur selbst gefesselt hat. Gwendolyn, du bist die einzige, die dieses Netz noch einmal zerreißen kann. Ich will dich. Jetzt.«
43
Die Musik war aus. Brünnhilde hatte sich die Liebe anders vorgestellt. Es war schöner gewesen mit Siegfried, als er noch ihr ungeborener Neffe gewesen war. Weiß rauschte es aus den
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