Risiko!
Zumindest konnte er sich an kein vergleichbares Bild aus früheren Urlauben erinnern. Andererseits lagen seine letzten Ferien Jahre zurück. Genau genommen drei Jahre. Damals war er mit zwei Studienfreunden und seinem jüngeren Bruder Patrick verreist. Von dem furchtbaren Ende dieser Reise hatte er sich nie erholt.
Er hatte gerade seine Examensarbeit abgegeben, die er neben seiner Arbeit bei der Feuerwehr geschrieben hatte. Das letzte Studienjahr war reichlich anstrengend gewesen, und er meinte, sich einen Urlaub verdient zu haben. Also flogen die vier Männer von Houston nach Barbados, wild entschlossen, sich bei tropischen Drinks mit tollen Frauen zu amüsieren. Sie verbrachten heiße Tage am Strand und noch heißere Nächte im Bungalow. Sie schliefen lange und vertrödelten die Vormittage, verkatert von zu viel Sex und zu viel Rum.
Leider hatten sie den Horrorgeschichten über moderne Piraterie in der Karibik zu wenig Beachtung und vor allem zu wenig Glauben geschenkt. Sie wähnten sich sicher vor den skrupellosen Drogenschmugglern, denen ein Menschenleben nichts bedeutete. Dabei sahen sie diese Typen sogar, wie sie in ihren Golfhemden, Cargoshorts, Baseballkappen und Segelschuhen über die Insel flanierten und ihre Automatikwaffen offen zur Schau stellten.
Die Erinnerung beunruhigte Ray auch nach drei Jahren jedes Mal wieder. Er sah hinüber zur offenen Küche, dann wieder zum Fernseher. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Er hielt es nicht mehr aus. Sandwiches hin oder her, er musste sich bewegen.
Rastlos sprang er vom Sofa auf und ging zur Wendeltreppe, die in die oberen Stockwerke führte. Er nahm zwei Stufen auf einmal und eilte zum Sonnendeck auf dem Dach der Villa.
Der Abendwind tat ihm gut. Er zog einen der wuchtigen Holzlehnstühle ans Geländer und setzte sich hinein. Durch die Stäbe hindurch, die ihn entfernt an Gefängnisgitter erinnerten, blickte er auf die Palmen und das Meer.
Normalerweise verbannte er die Ereignisse von damals aus seinen Gedanken. Nicht, dass er Patrick jemals vergessen könnte oder wollte, aber er mied die Erinnerung an diesen fatalen Urlaub. Im Laufe der Zeit war er ein wahrer Meister der Verdrängung geworden. Warum drifteten seine Gedanken auf einmal zu Patrick ab? Lag es daran, dass er zum ersten Mal wieder auf einer Insel in der Karibik war?
Er wusste, dass er nicht verantwortlich war für das, was vor drei Jahren geschehen war. Dennoch fühlte er sich furchtbar schuldig. Und dieses Schuldgefühl beeinträchtigte ihn immer mehr, je länger er damit leben musste. Das konnte er sich in seinem Job nicht leisten, wenn er ihn weiterhin zuverlässig und mit dem nötigen emotionalen Abstand erledigen wollte.
Momentan fühlte er alles, bloß keinen emotionalen Abstand. Weder von seinem Bruder Patrick, dessen fünfundzwanzigsten Geburtstag sie im letzten Monat gefeiert hätten, wenn er noch bei ihnen wäre, noch von Sydney Ford.
Dabei war er hier, um sich zu entspannen und seine Ferien zu genießen. Und sie sollte eigentlich als eine Art gehobenes Playgirl fungieren. Er hatte sich die Sache ganz einfach vorgestellt: Sie waren inzwischen beide erwachsen geworden, und deshalb konnten sie sich problemlos anderthalb Wochen miteinander vergnügen, ohne sich zu irgendetwas zu verpflichten.
In den acht Jahren seit ihrer ersten Nacht war sie zu einer atemberaubenden Frau herangereift. Und entsprechend erwachsen und atemberaubend fielen auch seine Fantasien aus.
Er malte sich aus, wie sie nackt unter ihm lag, oder, noch besser, nackt auf ihm. Er würde ihren Körper betrachten, wenn sie sich auf ihm bewegte, würde an ihrem Gesicht ablesen, wie erregt sie war, während er sich lustvoll unter ihr bewegte. Na gut, wahrscheinlich könnte er sich kaum bewegen, wenn sie oben war, aber er könnte zumindest ihre Hüften umfassen.
Offenbar hatten seine erotischen Fantasien telepathische Energien freigesetzt, denn in diesem Augenblick erschien Sydney auf der Dachterrasse. Sie reichte ihm einen Teller mit zwei großen Sandwiches und stellte eine Flasche Wasser neben seinen Stuhl. Dann lehnte sie sich direkt vor ihm an das Geländer.
Er lächelte sie strahlend an.
“Gewöhn dich besser nicht daran, dass ich dich persönlich bediene”, sagte sie, während er in eines der Sandwiches biss. Dann fügte sie schmunzelnd hinzu: “Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.”
Gut, dass er den Mund voll hatte und nicht antworten konnte. Sonst hätte er ihr womöglich gesagt, welche persönlichen
Weitere Kostenlose Bücher