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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Ich hasse Mädchen!
    Hi! Ich bin’s, Vanessa, und es tut mir ja leid, aber ich hab gerade überhaupt keine Zeit für euch. Verflixt und zugenäht! Amelie! Was war’n das für’n Gurkenpass! Ich kann es nicht fassen! Amelie Dessert. Die spielt genauso wie sie heißt. Wie Nachtisch, sprich Wackelpudding. Ja, so sieht die auch aus! Mensch, die geht doch nur in ’nen Fußballverein, weil sie keinen Rock tragen kann!

    Ich war auf hundertachtzig, aber das half mir nicht weiter. Der Ball war beim Gegner und die Pinneberger Kickerdirn griffen uns an. Kickerdirn – ja, ich weiß, aber das gehört zu den Dingen, die man aushalten muss, wenn man es mit Mädchenfußball zu tun kriegt. Wir waren die Holsteiner Fußballschwalben und so weh das auch tut, es passte zu uns. Es passte zu uns wie das Ringelschwänzchen zum Schwein, denn so spielten wir auch. Das heißt, so spielten die auf dem Platz. Ich hatte damit zum Glück nichts zu tun. Ich saß nämlich seit der dritten Minute schmollend im Gras. Frau Zimperlich, das ist unsere Trainerin, hatte mich nach dem ersten Wutanfall sofort vom Spielfeld gerufen. Seitdem wackelte Amelie für mich über den Platz, ja, und den Rest habt ihr mitgekriegt.
    Die Pinneberger Kickerdirn griffen uns an. Ihre drei Stürmerinnen hüpften in Formation auf unseren Sechzehner zu. Doch obwohl sie im Vergleich zu vielen anderen Teams schon verstanden, was eine Position im Spiel ist, durfte man nicht damit rechnen, dass sie auch abspielen würden. Stutenbissigkeit nannte meine Oma so was, und ich sage euch, die weiß darüber Bescheid.
    „Los! Greift sie an. Die passt nie im Leben!“, schrie ich unsere Verteidiger an und ignorierte den vorwurfsvollen Blick von Frau Zimperlich.
    Doch meine liebreizenden Mitspielerinnen ignorierten auch mich. Brav wie im Training deckten sie die beiden anderen Kickerdirn und ließen die dritte mit dem Ball ganz allein. Die würde schon passen, sagten sie sich und sahen mit offenem Mund zu Frau Zimperlich, als sie das natürlich nicht tat und den Ball ins Tor drosch.
    Neun zu Null für Pinneberg. Das war genug. Ich sprang auf, ballte die Fäuste und holte tief Luft ... doch zu mehr kam ich nicht.
    „Vanessa!“, warnte mich Frau Zimperlich. „Noch ein Wort und du kommst überhaupt nicht mehr auf den Platz!“
    Der Blick, den ich meiner Trainerin zuwarf, war mindestens tödlich, doch ich biss mir die Zunge ab und sagte kein Wort. Ich wollte unbedingt spielen. Auf der anderen Seite des Spielfelds hielt nämlich gerade der Mannschaftsbus unseres Vereins. Die E-Jugend der Jungen kehrte wie immer siegreich zurück. Sie war die Crème de la Crème der Neunjährigen und das über den Landkreis hinaus. Sie hatte selbst schon gegen Hamburg und Bremen ein Unentschieden erreicht.
    Oh, Mann, diese Jungen waren mein Traum, ja, und jedem, der das jetzt auch nur um einen Hauch falsch versteht, kratz ich die Augen aus. Ich bin acht Jahre alt, wisst ihr, und da haben Mädchen mit Jungen überhaupt nichts am Hut. Basta und Schluss. Auch wenn meine Oma was anderes sagt. Auch wenn sie behauptet, dass sich das einmal ändern wird. Ich denk nicht daran. Ich halte das für ein absolutes Gerücht. Ist das klar?
    Gut! Und trotzdem waren diese Jungs mein größter Traum. Seit zwei Jahren wollte ich nichts anderes, als zu ihnen gehören, und Samstage wie dieser boten mir dazu eine einmalige Chance. An Samstagen wie diesem konnte ich ihnen beweisen, wie gut ich war. Ja, und vielleicht würden sie dann, was Mädchen betrifft, ihre Vorurteile vergessen. Ja, vielleicht würden sie mich entdecken und mich bitten, in ihrer Mannschaft zu spielen.
    Doch Frau Zimperlich dachte gar nicht daran, mich ins Spiel zu nehmen.
    Stattdessen gingen die Pinneberger Kickerdirn mit dreizehn zu null in Führung. Die Jungen auf der anderen Seite des Platzes kugelten sich vor Lachen. Sie banden sich Zöpfe aus Gras ins Haar und ahmten Amelie nach, wie sie ächzend und stöhnend hinter dem Ball herwackelte. Dann, drei Minuten vor Schluss und beim Spielstand von siebzehn zu null, zeigte Frau Zimperlich endlich Erbarmen: „Also gut! Vanessa, du spielst jetzt mit Amelie zusammen im Sturm. Aber ich warne dich, ein falsches Wort ...“
    „Keine Angst, Frau Zimperlich!“, rief ich und sprang auf. „Ich werd ihr nicht sagen, dass sie wie ’n Wackelpudding auf dem Rasen rumeiert.“
    Frau Zimperlich schnappte nach Luft, doch das war mir – ehrlich gesagt – vollkommen egal. Ich hatte schon längst ein neues Problem.

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