Risotto Mit Otto
Ungeheuerlichkeit von ihm nicht länger bieten lassen. Und wenn dein Vater meint, er könne aus Rücksicht auf seinen Chef keine deutlichen Worte sprechen, dann muss ich es eben tun.« Wie um ihre Worte zu bekräftigen, nahm mamma mir das Hörnchen vom Teller und schob es sich in den Mund.
Ich staunte. So entschlossen und zielstrebig hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. Bei uns zu Hause hatte zweifellos babbo als capofamiglia das Sagen. Meine Mutter war für den Haushalt und uns Kinder zuständig, und bisher hatte sie ihren Kompetenzbereich noch nicht einmal überschritten. Jedenfalls soweit ich wusste.
Keine Stunde später durfte ich hautnah miterleben, wie zielstrebig, entschlossen und vor allem einschüchternd meine Mutter sein konnte, wenn sie sich oder ihre Brut bedroht fühlte. Wie ein Panther auf der Jagd stürmte sie an dem riesengroßen, breitschultrigen Mafioso vorbei, der uns die Tür geöffnet hatte, und fiel ins Wohnzimmer ein, wo Signor Colluti in seinem Sessel saß und nicht wusste, wie ihm geschah.
Mit in die Hüften gestemmten Händen beschimpfte sie den alten Herrn nach allen Regeln der Kunst, nicht ohne zwischendurch wahlweise an sein Gewissen zu appellieren und ihn zum Teufel zu schicken. Als stünde der Mafioso nicht die ganze Zeit einsatzbereit im Türrahmen, redete und gestikulierte sie um ihr Leben – oder vielmehr um meines.
Signor saß die ganze Zeit regungslos und ohne eine Miene zu verziehen, da. Als er seinem Lakaien den befürchteten Wink gab, fingerte ich angsterfüllt in meiner Handtasche nach meinem Handy, um die Polizei zu verständigen. Ich hatte es gerade hervorgezogen, da stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass sich der Mafioso nicht etwa wie erwartet auf meine Mutter stürzte, sondern zum Wohnzimmerschrank ging. Er holte eine Kassette heraus, in der mehrere Geldbündel säuberlich nebeneinanderlagen, und brachte sie dem alten Herrn. Der zählte einige Scheine ab, steckte sie in einen Umschlag und reichte ihn meiner Mutter.
»Nehmen Sie das Geld«, sagte er. »Und jetzt halten Sie bitte den Mund und gehen.«
»Na also«, erwiderte mamma daraufhin trocken, »geht doch.«
Sie schnappte sich den Umschlag, bevor Signor Colluti es sich anders überlegen konnte, und stürmte hinaus auf die Straße. Ich kam kaum hinterher, und als ich auf dem Bürgersteig vor ihr stand, fing sie laut an zu lachen.
»Siehst du, bella, manchmal muss man einfach etwas wagen. Genau wie du.«
Ich war sprachlos. »Grazie« , stammelte ich schließlich.
Sie winkte ab. »So, und jetzt ruf Otto an. Ich will noch was von München sehen, bevor ich diese wunderbare Stadt heute Abend wieder verlasse.«
»Wird gemacht«, sagte ich und suchte in meinem Adressbuch nach der Nummer.
Nach mammas Abreise blieben mir in München nun noch genau fünf Wochen, und kurz vor Torschluss lernte ich die auf mich oft behäbig wirkende Metropole noch einmal völlig neu kennen. Bisher war ich meist in Kneipen oder zum Tanzen gewesen, und nun entdeckte ich auch die Museen, kleinen Theater und verborgenen Cafés, in denen Ausstellungen oder literarische Veranstaltungen stattfanden. Auf einmal sah ich die Stadt mit anderen Augen und nahm alles wie durch einen Abschiedsschleier wahr. Egal ob ich mit Elin abends wegging oder mit Rainer zum Eisessen ins Gärtnerplatzviertel, ob ich auf dem Viktualienmarkt zwischen den reichbestückten Ständen entlangschlenderte oder an der Isar bis nach Grünwald spazierte, ob ich montags zum Kinotag mit Isabelle ins Wohnzimmer ging, wie wir unser Lieblingskino in der Sonnenstraße nannten, oder zum Shoppen nach Schwabing – fast immer musste ich nun daran denken, dass es vermutlich das letzte Mal war. In meine Vorfreude auf Riccione und zu Hause schlich sich eine gewisse Wehmut, die ganz besonders schlimm war, wenn ich an Otto dachte.
Doch zum Glück blieb mir zum Nachdenken nicht allzu viel Zeit, denn die Tage waren bis oben hin angefüllt mit Erledigungen, Abschiedstreffen und Packen.
Für den letzten Abend vor meiner Abreise plante ich ein großes Fest, zu dem ich alle Menschen eingeladen hatte, die mir in dem Jahr in München ans Herz gewachsen waren. Ich hatte mich für die Party richtig ins Zeug gelegt und ein italienisches Vorspeisenbüfett aufgebaut, an dem man sich schwindlig essen konnte. Alles, was es gab, hatte ich selbst gemacht, und meine Flatrate reichte nicht aus für die vielen Telefonate mit meiner nonna, die mir aus der Ferne beim Kochen und Vorbereiten half. Am
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