Risotto Mit Otto
bemüht war. Vermutlich war ich ihm doch nicht so wichtig, und er hatte festgestellt, dass er gar nicht in mich verliebt war. Das mit der Fernbeziehung war sicher nur eine Ausrede gewesen. Wenn er tatsächlich etwas für mich empfand, dann konnte ihn das unmöglich zurückhalten. Oder etwa doch?
Letztlich konnte ich nicht in Ottos bayerischen Sturschädel hineinblicken, sondern nur für mich sprechen. Ich für meinen Teil hatte jedenfalls noch nie zuvor einen Mann getroffen, bei dem ich mich so wohl gefühlt hatte wie bei Otto. Bei dem Gedanken seufzte ich laut auf, ohne es zu merken.
»Alles okay?«, fragte Beate.
Ich nickte nur stumm.
Um mich von der aufsteigenden Traurigkeit abzulenken, beobachtete ich die Menschen um uns herum. Wie immer saß auf jedem Viererplatz erst mal nur eine Person. Die Deutschen verhalten sich in öffentlichen Verkehrsmitteln häufig so, als hätten die anderen Menschen eine ansteckende Krankheit. Wenn nicht viel los ist, kann man beobachten, dass sich zunächst ein jeder einzeln auf einen Viererplatz setzt und sich so weit wie möglich mit Taschen, Jacken, Regenschirmen, Einkaufstüten und sonstigen Utensilien ausbreitet, damit sich ja keiner daneben- oder gegenübersetzt. Es hat den Anschein, als wollten die Leute mit ihren Artgenossen nichts zu tun haben. Warum das so ist, weiß ich nicht, jedenfalls töten sie einen fast mit Blicken, wenn man es wagt, sich ihnen auf mehr als drei Meter zu nähern und sie am Ende gar noch – egal wie höflich – aufzufordern, doch bitte ihre Tüte, den Regenschirm oder die Aktentasche wegzunehmen, damit man sich hinsetzen kann. Was für eine Zumutung.
Ich glaube, wenn es die Möglichkeit gebe, für Regenschirme, Einkaufstüten und dergleichen wie für Hunde oder Fahrräder einen Fahrschein zu lösen und ihnen damit ein Recht auf einen eigenen Sitzplatz zu erkaufen, würde eine große Mehrheit diese Chance nutzen. Schließlich kann sich nicht jeder Kinder anschaffen oder ständig mit der gesamten Familie oder mindestens drei Freunden U- und S-Bahn fahren, nur damit sich kein Fremder dazu setzt. Sosehr ich mich bemühte, mich mit derlei Belanglosigkeiten abzulenken, meine Gedanken schweiften immer wieder zu der bevorstehenden Reise und der Frage ab, wie es weitergehen sollte. Die Fahrt verging viel zu schnell, und obwohl ich die einzelnen Sekunden am liebsten festgehalten hätte, damit sie nicht so schnell verrannen, schritten sie unerbittlich voran, und wir erreichten den Bahnhof.
»Aiuto« , sagte ich, als mir siedend heiß einfiel, dass ich vergessen hatte, noch mal bei Frau Griesmayer zu klingeln. Von allen hatte ich mich verabschiedet, selbst von Joe Kugel, der mir beim Kofferpacken ständig um die Beine gestrichen war, als fände er mich auf einmal doch nicht so schlimm und wäre bereit, mich zumindest als Dosenöffner zu dulden. Nur bei der alten Frau hatte ich in der Hektik nicht mehr geklingelt.
»Ach, sie wird es überleben«, sagte Beate lachend, als ich es ihr mit erschrockener Miene sagte. »Wir werden deshalb jetzt wohl kaum umkehren. Oder willst du deinen Zug verpassen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, Otto zu überraschen. Nur zu gern hätte ich sein Gesicht gesehen, wenn ich unangekündigt vor seiner Tür gestanden wäre.
Kurz darauf standen wir zwar nicht vor Ottos Tür, dafür aber mit dem für mindestens drei reichenden Gepäck am Bahnsteig und umarmten uns fest. Beate, die oft ein bisschen spröde und nicht gerade ein Musterbeispiel für einen herzlichen Menschen war, musste ebenso wie ich ganz schön schlucken. Wir hatten trotz so mancher Dispute eine gute Freundschaft entwickelt, und ich war ihr sehr dankbar dafür, dass sie mir nicht nur einmal auf ihre unverblümte Art den Kopf zurechtgerückt hatte. Auf sie, genau wie auf Elin und auch Isabelle, konnte ich zählen, und das war ein schönes, warmes Gefühl.
Plötzlich schossen mir wieder die Gedanken von vorhin durch den Kopf. Was, wenn ich sie alle nicht wiedersah? Es war wie verhext: Da hatte ich nach meiner Pleite mit Ben nach langem Hin und Her endlich erkannt, was den richtigen Mann für mich ausmachte, und dann überlegte er es sich anders, bevor ich ihm meine Gefühle offenbaren konnte.
Dabei war ich sogar, wie Beate es ausdrücken würde, endlich von meinem »hohen Ross heruntergestiegen« und hatte erkannt, dass nicht Äußerlichkeiten und der schöne Schein wichtig waren, sondern dass ganz andere Dinge
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