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Risotto Mit Otto

Titel: Risotto Mit Otto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Troni
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vielleicht noch gefallen, und so mancher deutsche Mann hatte in seiner Lederhose echt einen knackigen Hintern. Aber was sollten diese oben und unten abgeschnittenen groben Wollstrümpfe, die da auf halber Höhe an den Waden hingen? Und wieso mussten sie Bier aus Eimern trinken, zumal in industriellen Mengen? Hatten diese Menschen denn gar keine Kultur?
    Beim Gedanken an die riesigen Bierkrüge bekam ich Durst und stand auf, um nach einer Flasche Wasser zu suchen. Überall entdeckte ich angebrochene Plastikflaschen von der Party, aber ich brauchte eine frische. Abgestandenes Wasser löst bei mir Allergien aus. Mehrere.
    Was sollte ich in diesem »Millionendorf«, wie die Münchner ihre Stadt laut meiner Freundin Valeria nannten? Noch dazu mutterseelenallein? Auf einmal bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage, schließlich war ich noch nie länger als zehn Tage von meiner Familie getrennt. Nicht mal Urlaub hatte ich ohne meine Eltern und meine beiden Schwestern, die Zwillinge Laura und Paola, gemacht, und ehrlich gesagt konnte ich mir auch nicht richtig vorstellen, wie es ohne sie sein würde. So ganz ohne Familie. Dabei war es zugleich mein sehnlichster Wunsch, endlich selbständig zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen.
    Ich hatte extra Berlin als Wunschstadt angegeben, weil dort Onkel Fabio und Tante Ivana mit Daniela und Pietro lebten. Alles war nämlich schon so gut wie abgemacht: Ich hätte bei ihnen im Haus ein kleines Appartement mit eigenem Eingang bekommen, meine Cousine hätte mir die Stadt und die besten Kneipen gezeigt, und ihr Bruder Pietro, den ich schon als kleines Mädchen vergöttert hatte, hätte mir sicher ein paar seiner coolen Freunde vorgestellt. Ein Stückchen Heimat hätte ich damit in der Fremde auch gehabt, und überhaupt: Es wäre perfekt gewesen. Offenbar zu perfekt.
    Na ja, Hamburg hatte ich ebenfalls genannt, als einzig akzeptable Alternative, da Papas Cousine Elena dort wohnte, die mich mit ihrem deutschen Mann unter ihre Fittiche genommen hätte. In die dritte Zeile hatte ich München in die dafür vorgesehenen Kästchen geschrieben und darüber in Druckbuchstaben » BITTE NICHT « gekritzelt. – War das jetzt die Folge davon? Wurde man, sobald man in dieses hyperkorrekte Deutschland wollte, etwa sofort mit der Höchststrafe belegt, sofern man Formulare nicht korrekt ausfüllte? Das fing ja gut an …
    Ich ließ den Blick über die verkrusteten Spaghettireste auf den Tellern wandern und blieb an dem selbstgemalten, gerahmten Cartoon auf der Anrichte hängen, den Valeria, die chaotischste, aber genialste Grafikerin, die ich kannte, mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Darauf war eine völlig ramponierte Sechzigjährige in Rock und Bluse mit abstehenden Haaren und Löchern in den Strümpfen zu sehen, die offensichtlich eine wilde Nacht hinter sich hatte. Darunter stand in Großbuchstaben: WENN DAS LEBEN DIR ZITRONEN ANBIETET, DANN BESORG TEQUILA UND SALZ UND RUF MICH AN . Darunter hatte meine beste Freundin mit Kuli ihre Handynummer und einen Smiley gekritzelt.
    Das war typisch Vale. Sie hatte zwar einen etwas seltsamen Geschmack, was ihre schwarzen Biker-Klamotten und die superkurzen rot gefärbten Haare anging, aber sie war eine Seele von Mensch und immer für mich da, wenn ich sie brauchte.
    Daher fackelte ich keine Sekunde, kramte mein Telefon aus der blaugrün gemusterten Filztasche, die noch immer über meiner Schulter hing, und drückte die Wahlwiederholungstaste. Da wir sowieso eine Standleitung hatten, war klar, dass ich ihre Nummer als Letztes gewählt hatte. Sie würde mich verstehen, sie wusste, was das bedeutete: M-Ü-N-C-H-E-N . Ungeduldig wartete ich, es tutete … und tutete … und tutete.
    Gefühlte drei Stunden später, ich hätte inzwischen die komplette Küche aufräumen, die Wohnung neu streichen und den kaputten Aufzug reparieren können, ertönte die mir vertraute, wenn auch verschlafene Stimme meiner Retterin in letzter Not.
    » Pronto ?«
    »Ciao, Vale, ich bin’s. Stell dir vor …« Weiter kam ich nicht.
    »Weißt du eigentlich, wie viel Uhr es ist?«, maulte sie am anderen Ende der Leitung.
    Ich sah förmlich vor mir, wie Valeria sich am späten Vormittag neben Giorgio, ihrem aktuellen Lieblings-Kuschelkissen, im Bett umdrehte und dabei mit den Augen rollte. Ihre Mutter duldete so etwas, meine Eltern dagegen würden mir den Kopf abreißen, wenn ich ein männliches Wesen über Nacht bei uns einschleusen würde – noch dazu jede Woche ein anderes.

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