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Ritter-Geist

Titel: Ritter-Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
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Problem, wie sie ins Schloß gelangen sollte. Sie stand draußen vor dem Schlo ß garten; es gab keine Zugbrücke, und die Mauern sahen höchst a b weisend aus. Zunächst einmal würde sie den Schloßgraben übe r queren müssen. Sie blickte sich um. Unter einem weitgefächerten Baum entdeckte sie mehrere kleine Steine. »Tretsteine!« rief sie, als sie sie erkannte.
    Sie hob sie auf, doch es fiel ihr schwer, alle in beiden Händen z u sammenzuhalten, also griff sie nach einem großen grünen Blatt, um sie darin einzuwickeln. Doch dann stellte sie fest, daß es gar kein Blatt war, sondern der Flügel eines riesigen toten Mondfalters. Der hing reglos vom Baum herab. Eine Träne kullerte ihr aus dem Auge; sie haßte es mitanzusehen, wie schöne Dinge starben oder tot waren.
    Ivy bemerkte eine Moosdecke, legte die Steine, den Falter und das Mährenhufeisen darauf und nahm sorgfältig die Ecken der Decke auf, um daraus ein Bündel zu machen. Sie hielt sich für ein recht einfallsreiches Mädchen, was sie demzufolge natürlich auch war. Dann schritt sie zu dem Graben hinüber, das Bündel in einem Arm haltend, während sie mit der freien Hand den ersten Stein warf.
    Der Tretstein traf platschend auf die Wasseroberfläche, wackelte ein wenig umher, wurde ein Stückchen größer und bekam schlie ß lich festen Halt, wobei sein oberer Teil knapp aus dem Wasser hervorragte. Sie warf einen zweiten Stein, diesmal ein Stück weiter, und der ließ sich auf ähnliche Weise im Wasser nieder. Als sie eine etwas unregelmäßige Reihe von mehreren Steinen zustande g e bracht hatte – denn Tretsteine ließen sich niemals in regelmäßiger Reihe nieder, egal wie genau man sie auslegte –, trat sie vorsichtig auf den ersten. Der gab ein wenig nach, verlieh ihrem Körper j e doch genügend Halt; das entsprach schließlich auch seinem W e sen, von Ivys Talent verstärkt. Wenn man einen Tretstein falsch plazierte, verwandelte er sich in einen Stolperstein, doch diese hier lagen richtig.
    Sie schritt auf den zweiten, dann den dritten, dann warf sie einige weitere aus. Das war ein heikles Geschäft, vor allem beim Übe r queren eines tiefen Gewässers, doch sie hatte genügend Steine dabei und schaffte es ans andere Ufer, wobei sie sogar noch einen übrig hatte. Das war wirklich eine ausgezeichnete Organisation, Eigenlob hin, Eigenlob her.
    Nun befand sie sich auf einem schmalen Streifen zwischen Schloßgraben und Schloßmauer. Auf der einen Seite wurde der Streifen immer schmaler, bis zwischen beiden überhaupt kein A b stand mehr war, in diese Richtung konnte sie also nicht gehen. Auf der anderen Seite wand er sich um das Schloß herum. Ivy war s i cher, daß es hier irgendwo ein Tor geben mußte, also schritt sie los.
    Sie kam an einer Nische vorbei, die völlig finster war: absolut lichtlos. Das war interessant, aber nicht sehr; also ging sie weiter. Dann gelangte sie um eine Ecke, hinter der grellste Helligkeit herrschte. Sie schirmte ihre empfindlichen Augen ab, doch das Licht zwängte sich durch die Ritzen zwischen ihren Fingern und durchstieß dennoch ihre Augenlider. Es war einfach zu hell!
    Ivy zog sich um die Ecke zurück, wo die Lichtverhältnisse wi e der normal waren, nur ein dumpfroter Flecken spielte Tauziehen mit den äußeren Rändern ihres Gesichtsfeldes. Wie sollte sie durch diese Region gelangen? Wenn das Tor, nach dem sie suchte, sich dort befinden sollte, würde sie es nicht einmal erkennen können. Möglicherweise würde sie sogar in den Graben stolpern und nasse Füße bekommen; das ihrer Mutter zu erklären, würde ein ziemlich schwieriges Unterfangen werden. Irene mochte zwar keine Zeit für Ivy haben, wenn Ivy nach Aufmerksamkeit verlangte, doch sobald diese kleinen Füße und Schuhe naß wurden, würde sie, wie von Zauberhand herbeigeholt, plötzlich auf der Bildfläche erscheinen; so waren Mütter eben. Außerdem war sich Ivy nicht sicher, wie lange es dauern würde, bis sich ihre Augen von dem Licht wieder erholen würden; wie schrecklich es sein würde, blind zu sein! Wenn sie blind nach Hause käme, würde man ihr dort nichts als –Schrecken über Schrecken! – Karotten zu essen geben, weil diese irgendeinen gelben Zauberstoff enthielten, der gut für die Augen war. Nein, keine Frage: Sie mußte einen anderen Weg suchen.
    »Komm schon, Ivy«, tadelte sie sich selbst. »Du bist doch schlau genug, um eine Möglichkeit zu finden, durch das bißchen Licht zu gelangen!« Woraufhin sie auch schlau genug wurde;

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