Ritual - Höhle des Schreckens
Wetter in derart hohem Tempo über die einsam und verlassen vor ihm liegende, ringsum von rabenschwarzer Nacht eingehüllte Asphaltpiste zu jagen.
Und dass Pendergast dabei auch noch hin und wieder rasch einen Blick auf den aufgeklappt auf dem Beifahrersitz stehenden Laptop warf, war kein bodenloser Leichtsinn, im Gegenteil, es war kluge Vorsorge. Denn das Gerät zeigte ihm präzise die aktuelle, aus den Daten mehrerer Wettersatelliten gewonnene Entwicklung der Sturmfront an.
Auf dem Rückweg von Topeka hatte er kurz hinter Salina die Interstate siebzig verlassen und war nun etwa auf der Höhe der so genannten Großen Schleife angekommen, die der Kansas River nach dem Zusammenfluss mit dem Smoky Hill River beschreibt. Von nun an musste er bis nach Medicine Creek mit engeren, wesentlich schlechter gewarteten Straßen rechnen. Das und die immer näher rückende Sturmfront ließen es angeraten erscheinen, das Tempo stark zu drosseln.
Nur, wenn er das tat, lief ihm die Zeit davon. Denn der Mörder würde schon bald wieder zuschlagen. Die Dunkelheit, der Sturm und die Gewalt, mit der er tobte, würden ihn geradezu magisch anlocken. Pendergast war sich fast sicher, dass heute Nacht der nächste Mord fällig war.
Er nahm sein Mobiltelefon aus der Halterung und tastete eine Nummer ein. Aber auch diesmal teilte ihm lediglich eine automatische Ansage mit, dass der gewünschte Teilnehmer zurzeit nicht zu erreichen sei.
Nicht zu erreichen…Ein Satz, der sich wie ein Menetekel anhörte und ihm nicht mehr aus dem Sinn ging.
Und so drückte er wider alle Vernunft das Gaspedal des Rolls noch tiefer durch.
50
Seit er als Kind den Film Der Zauberer von Oz gesehen hatte, war Tad Franklin vom Phänomen der Tornados fasziniert. Er schämte sich fast ein bisschen, dass er praktisch sein ganzes Leben an der so genannten Tornadostraße verbracht und dennoch nie einen erlebt hatte. Freilich, die verheerenden Auswirkungen waren ihm öfter zu Gesicht gekommen, als ihm lieb sein konnte: verwüstete Wohnwagenparks, zersplitterte, an überdimensionale Zahnstocher erinnernde Bäume und Autos, die der Sturm von der Straße gefegt und umgeworfen hatte. Aber irgendwie hatte er es immer verpasst, mit eigenen Augen zu sehen, wie so ein Wolkenschlauch auf ihn zuraste.
Eine düstere Ahnung sagte ihm, dass sich das heute ändern würde. Den ganzen Tag über hatte der Rundfunk Warnmeldungen des Wetterdienstes gebracht, und die Prognosen hatten von Mal zu Mal bedrohlicher geklungen. Anfangs war von schweren Unwettern die Rede gewesen, aber seit zwei, drei Stunden wurden laufend Tornadowarnungen ausgestrahlt. Vor etwa einer Stunde war ein gewaltiger, von schaurigem Heulen begleiteter Sandsturm über Medicine Creek weggerast, hatte Plakate und Dachziegel vor sich hergetrieben, Autos und Häuser mit Sand überschüttet, Bäume umstürzen lassen und die Sicht auf bloße hundert Meter beschränkt. Und heute Abend, exakt um acht Uhr elf, als Tad allein Bereitschaftsdienst im Sheriffsbüro schob, war vom Rundfunk die offizielle, bis Mitternacht geltende Tornadowarnung für die gesamte Cry County ausgestrahlt worden: Warnstufe zwei bis drei, Windgeschwindigkeiten bis zu dreihundert Stundenkilometern, sodass mit schweren Verwüstungen gerechnet werden musste.
Sekunden später meldete sich Sheriff Hazen über Funk, kurz und knapp. »Tad, hören Sie zu: Ich bin in Deeper, werde aber gleich losfahren und nach Medicine Creek zurückkommen. Es gibt Neuigkeiten in dem Fall der Serienmorde. Unserer Meinung nach versteckt sich der Mörder in Kraus’ Kavernen.«
»Der Mörder soll sich…?«
»Himmeldonnerwetter, lassen Sie mich ausreden! Es ist wahrscheinlich McFelty, Norris Lavenders Handlanger. Er hat sich in den Höhlen versteckt, ganz hinten, wo der alte Kraus seinen Fusel gebrannt hat. Wir müssen jetzt schnell handeln, bevor der Kerl sich im Schutz des Sturms aus dem Staub machen kann. Wir stellen gerade ein Sonderkommando zusammen und haben vor, um zehn Uhr in das Höhlensystem einzudringen. Aber inzwischen ist eine Tornadowarnung für die Cry County ausgegeben worden…«
»Hab’s eben im Radio gehört.«
»Also – um alles, was mit dem Tornado zu tun hat, müssen Sie sich jetzt kümmern. Kennen Sie sich damit aus?«
»Natürlich, Sir.«
»Gut. Machen Sie den Leuten klar, was auf sie zukommt, und sorgen Sie dafür, dass sich alle in ihren Häusern verbarrikadieren, auch in den Außenbezirken! Und kümmern Sie sich darum, dass starker, heißer
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