Rotkäppchen und der böse Wolf
1
T ommy Beresford zog im Vorraum seiner Wohnung den Mantel aus und hängte ihn langsam und umständlich auf. Sein Hut kam mit derselben Sorgfalt auf den Haken daneben.
Er straffte die Schultern, legte sein Gesicht entschlossen in lächelnde Falten und ging ins Wohnzimmer, wo seine Frau saß und eine Soldatenkappe aus Khakiwolle strickte.
Man schrieb das Frühjahr 1940.
Mrs Beresford blickte kurz auf und strickte dann mit rasender Geschwindigkeit weiter. Nach ein, zwei Minuten fragte sie: »Was Neues in der Abendzeitung?«
Tommy erwiderte: »Hurra, hurra, der Blitzkrieg kommt! In Frankreich sieht’s übel aus.«
»Ein behaglicher Aufenthaltsort ist die Welt augenblicklich wirklich nicht«, meinte Tuppence.
Es entstand eine längere Pause. Dann sagte Tommy: »Na, warum fragst du denn nicht? Sei doch nicht so verdammt taktvoll.«
»Hast ja Recht«, gab Tuppence zu, »aber wenn ich frage, reizt es dich auch. Außerdem brauche ich wirklich nicht zu fragen; es guckt dir schon aus allen Knopflöchern, was los ist.«
»So? Seh ich aus wie ein Unglücksrabe?«
»Nein, mein Schatz«, sagte Tuppence, »aber du hast ein Lächeln aufgesetzt, das einfach herzzerreißend ist.«
Tommy grinste.
»Wirklich so schlimm?«
»Noch schlimmer! Na, also los, heraus damit! Nichts zu machen?«
»Nichts zu machen. Nirgends Verwendung für mich. Ich kann dir sagen, Tuppence, es ist ein scheußliches Gefühl, wenn man mit sechsundvierzig Jahren behandelt wird wie ein Tattergreis. Bei der Armee, bei der Marine, bei der R.A.F. im Auswärtigen Amt, überall die gleiche Antwort: zu alt.«
»Mir geht’s genauso«, erwiderte Tuppence. »Leute in meinem Alter kann man zur Krankenpflege nicht mehr brauchen. Auch für anderes nicht. Lieber holen sie sich so ein unbedarftes Gänschen. Als hätte ich nicht 14/18 in der Chirurgischen gearbeitet und später einen Proviantwagen und zuletzt sogar ein Generalsauto gefahren! Und ich behaupte kühn, dass ich alles sehr anständig gemacht habe. Aber jetzt ist Tuppence Beresford eine Frau, die in die Jahre kommt – zudringlich und lästig, weil sie nicht begreifen will, dass sie brav mit dem Strickstrumpf zuhause zu sitzen hat.«
»Wenigstens hat Deborah eine vernünftige Arbeit«, tröstete Tommy.
»Ja, das schon. Und sie wird ihre Sache auch gut machen. Aber weißt du, Tommy, ich meine immer, ich könnte es noch mit Deborah aufnehmen.«
Tommy grinste.
»Sie wird anderer Meinung sein.«
»Töchter können einem auf die Nerven gehen«, knurrte Tuppence, »besonders wenn sie gar so besorgt tun.«
»Und wenn Derek anfängt, sich so rücksichtsvoll mir gegenüber zu benehmen«, murmelte Tommy, »das ist schwer zu ertragen. Jeder Blick sagt: armer alter Daddy.«
»Ja, ja, unsere Kinder«, sagte Tuppence, »sie sind Prachtstücke, und doch bringen sie einen manchmal zur Raserei.«
Aber sobald sie die Zwillinge, Derek und Deborah, nur erwähnte, strahlten ihre Augen vor Zärtlichkeit.
Tommy bemerkte nachdenklich: »Ich glaube, es ist für alle Menschen schwer, sich damit abzufinden, dass die Jugend vorbei ist.«
Tuppence schnaufte wütend, schüttelte ihr glänzendes dunkles Haar und warf das Wollknäuel vom Schoß, dass es weit durchs Zimmer rollte.
»So? Und jetzt gehören wir zum alten Eisen?«
»Da könntest du Recht haben«, nickte Tommy.
»Aber wir haben doch wirklich etwas geleistet! Und das soll alles nichts mehr gelten? Kann denn das wahr sein? Hast du denn nicht einmal eins über den Schädel gekriegt und bist von feindlichen Agenten geschnappt worden? Sind wir nicht einmal hinter einem gefährlichen Verbrecher her gewesen – und haben ihn schließlich erwischt? Haben wir ein andermal nicht ein Mädchen befreit und wichtige geheime Dokumente gefunden, sodass man uns den Dank des Landes ausgesprochen hat? Uns, dir und mir, dem unerwünschten, beiseitegeschobenen Paar, Mr und Mrs Beresford.«
»Na, mein Schatz, nun hör mal auf. Was soll denn das alles?«
»Ach, gar nichts!« Tuppence blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. »Unser Mr Carter enttäuscht mich schwer.«
»Er hat uns doch einen sehr netten Brief geschrieben.«
»Ja, aber getan hat er nichts. Nicht einmal ein bisschen Hoffnung gemacht.«
»Er steckt ja auch nicht mehr mitten im Betrieb – genau wie wir. Er ist alt geworden. Lebt in Schottland und angelt.«
Tuppence sagte nachdenklich: »Beim Geheimdienst hätte man uns doch verwenden können.«
»Vielleicht auch nicht«, entgegnete Tommy, »vielleicht
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