Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
und diesen blauen Kinderaugen, die so weit auseinanderlagen, dass sie den Ausdruck vermittelte, als könnte sie nicht einmal ein Bankkonto eröffnen, geschweige denn, vier Meter unter Wasser eine Leiche aus dem Schlamm ziehen. Aber so ging es ihr meist mit den höheren Chargen. Anfangs war es eine Herausforderung gewesen. Jetzt machte es sie nur noch sauer.
    »Und?« Sie ließ das Handtuch fallen. »Wer ist denn sein Stellvertreter? Jemand aus Kingswood?«
    »Jemand Neues. Keiner, den ich kenne.«
    »Wie heißt er?« 

    »Kann mich nicht erinnern. Einer von der Sorte, die sich anhört wie ein abgerissener alter irischer Säufer. Alte Schule – Bier und Essen vom Takeaway. Zu hoher Blutdruck. Der Typ, der jedes Jahr jemand Jüngeren mit falschem Ausweis an seiner Stelle zum Piep-Test schickt.«
    Lächelnd spähte sie an ihrem Arm herunter und spannte den Bizeps. »Sprechen Sie das Piep-Wort nicht aus. In zwei Wochen ist die jährliche Gesundheitsprüfung.«
    »Rauf nach Napier Miles House, Sarge? Dann sollten Sie anfangen zu essen.« Er schob ihr das Ciabatta hinüber. »Proteindrinks. Eis. McDonald’s. Sehen Sie sich doch an. Untergewicht ist das, was früher Übergewicht war. Wussten Sie das nicht?«
    Sie nahm das Sandwich und fing an zu essen. Dundas beobachtete sie. Komisch, wie er den Beschützer spielte, während sie doch seine Chefin war. Dundas verschwendete nie seine Zeit damit, seinem Sohn Vorträge zu halten. Die hob er sich für Flea auf. Sie kaute und dachte dabei, er wäre jemand, dem sie es erzählen könnte, was wirklich los und in der vergangenen Nacht passiert war.
    Sie versuchte, ihre Worte zu sortieren und in eine Reihe zu bringen, als hinter ihnen die Tür aufging und eine Stimme sagte: »Sind Sie die Taucher? Die die Hand heraufgeholt haben?«
    Ein Mann im grauen Anzug, Mitte dreißig, mittelgroß, stand in der Tür und hielt einen Becher Automatenkaffee in der Hand. Er hatte ein entschlossenes Gesicht und dichtes, dunkles, kurz geschnittenes Haar. »Wo ist sie denn?« Er legte eine Hand an den Türrahmen, beugte sich herein und sah sich im Umkleideraum um. »Auf dem Kai ist niemand außer Ihrem Team.«
    Keiner der beiden sagte etwas.
    »Hallo?«
    Flea kam ruckartig zu sich. Sie schluckte ihren Bissen hi- 
    nunter und wischte sich hastig mit dem Handrücken die Krümel vom Mund. »Ja. Sorry. Sie sind…?«
    »Detective Inspector Jack Caffery, stellvertretender Ermittlungsleiter. Und wer sind Sie?«
    »Das ist Flea«, sagte Dundas. »Sergeant Flea Marley.«
    Caffery warf ihm einen sonderbaren Blick zu. Dann musterte er sie, und ihr war sofort klar, dass er hinter seiner Miene etwas verbarg. Sie glaubte zu wissen, was es war. Männer arbeiteten nicht gern mit einsfünfundsechzig großen Mädchen in Taucherstiefeln zusammen. Vielleicht hatte sie aber auch nur Krümel auf dem T-Shirt.
    »Flea?«, fragte er. »Der Floh?«-
    »Das ist ein Spitzname.« Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich heiße Phoebe Marley. Unit Sergeant Phoebe Marley.«
    Er starrte auf ihre Hand wie auf ein Ding von einem anderen Planeten. Dann schien ihm wieder einzufallen, wo er war, und drückte sie fest, um sie aber gleich wieder loszulassen. Im selben Augenblick wich Flea zurück und flüchtete aus seinem Dunstkreis. Sie setzte sich und strich sich verlegen vorn über das T-Shirt. Wieder war sie aus dem Gleichgewicht geraten, und auch das machte sie sauer. Sie war nicht sehr gut im Umgang mit Männern. Zumindest nicht mit dieser Art von Männern. Sie erinnerten sie an Dinge, die sie hinter sich gelassen hatte.
    »Und?«, fragte er. »Flea. Wo ist diese Hand, die Sie aus dem Wasser geholt haben?«
    »Der Coroner hat sie wegbringen lassen«, sagte Dundas. »Hat Ihnen das niemand gesagt?«
    »Nein.«
    »Na, hat er aber. Der Cheftechniker hat jemanden damit nach Southmeads geschickt. Aber vor morgen ist das nicht erledigt.«
    »Sie scheinen hier viele Hände aus dem Wasser zu ziehen!« 
    »Yep«, sagte Dundas. »Haben eine ganze Sammlung oben in Southmeads. Füße, Hände, ein oder zwei Beine.«
    »Und woher kommen sie?«
    »Selbstmorde hauptsächlich. Unten im Avon in neun von zehn Fällen. Der Fluss hat eine Gezeitenströmung, wie Sie sie noch nie gesehen haben – da wird alles heftig hin und her gespült und prallt mit Bäumen und Treibgut zusammen. Alle möglichen Teile tauchen da auf, links, rechts und überall.«
    Caffery ließ seine Hand aus dem Jackettärmel hervorschießen und sah auf die Uhr.

Weitere Kostenlose Bücher