Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
herausgerissen, und zwischen all diesen Prozeduren verhörte man sie immer wieder. Erneut kam ihm Bruder Henricus in den Sinn, dessen Qualen allerdings durchaus auszuhalten gewesen wären, denn er hatte ihm gnädigerweise einzig die Daumenschrauben ansetzen lassen. Schließlich hatte es sich um einen Ordensbruder gehandelt, mochte er auch falschen Lehren gefolgt sein. Für ihn hatte es keinen Grund gegeben, Taten zu gestehen, die er nicht begangen hatte.
Wieder sah er Calveries` Augen vor sich. Dieser offene wissende Blick. Nein, nein. Saint-Georges presste die Lippen aufeinander. Calveries saß aufgrund einer falschen Anschuldigung im Kerker. Abbéville musste ein Einsehen haben, und das würde er auch, wenn er ihm die Unschuld des Mannes nur endlich klarmachen könnte. Wütend über sich, weil seine Überzeugungskunst nicht ausgereicht und er obendrein auch noch begonnen hatte, selbst an Calveries zu zweifeln, bückte sich Saint-Georges, öffnete die Schublade seines Pultes und zog mit Bedacht ein Blatt heraus, um einen Sündenbaum für Calveries zu konstruieren.
Lange saß er über seinem Werk.
Am Ende saßen auf den Ästen und Zweigen lauter kleine Teufelchen, und der Inquisitor zerriss das Pergament in tausend Fetzen.
Mit unzähligen schwarzen Wolken war seit Tagen der Marin noir Gast in Carcassonne, und Rixende fröstelte. Sie saß in Aimerics Schreibstube, die sich im oberen Stockwerk des Lagers befand, einen Pelz um die Schultern, weil es durch alle Fensterritzen zog. Ein weiteres Mal addierte die junge Frau die Salden, doch das Ergebnis blieb das gleiche. Die Außenstände waren entschieden zu hoch. Ich muss mit Castel Fabri darüber reden, beschloss sie, sperrte die Unterlagen in die Truhe und machte sich mit der Auflistung auf den Weg ins Rote Haus.
Fabri saß zusammengesunken im Lehnstuhl vor dem Kaminfeuer und döste vor sich hin. Rixende erschrak bei seinem Anblick, denn er sah blaß und verhärmt aus, und auf seiner Stirn standen kleine Schweißperlen.
„Geht es Euch nicht gut, Vater?“ fragt sie besorgt, als sie ihm die Auflistung vorlegte, in der sie die Zahlen extra groß geschrieben hatte, damit er sie prüfen konnte.
Da klopfte es plötzlich heftig an die Tür.
Elias Patrice stürmte herein und ließ sich mit hochrotem Kopf und schnellem Atem auf die Kaminbank fallen.
„Wo ist dein Sohn?“ fragte Patrice den alten Fabri, ohne ihn zuvor begrüßt zu haben.
„Aimeric befindet sich noch drüben im Lager! Was ist mit dir, lieber Freund?“
„Bitte schick augenblicklich nach deinem Sohn, Fabri. Wenn er hier ist, wirst du erfahren, was geschehen ist.“
Weil Rixende es mit der Angst zu tun bekam, eilte sie selbst, um ihren Gatten zu holen.
„Was ist geschehen?“ rief Aimeric noch an der Tür.
„Abbéville und Saint-Georges haben begonnen, Carcassonne zu säubern! Erst haben sie zwei Ketzer aus dem Haus der Belots geholt, weiß der Teufel, woher sie die Information hatten - und vor zwei Stunden haben sie den alten Vidame verhaften lassen.“
„Was sagst du da?“ schrie Castel Fabri auf. „Den alten Vidame? Weswegen denn? Was hat er sich zuschulden kommen lassen?“
„Nichts, gar nichts, Fabri. Er ist wie die beiden anderen der Ketzerei angeklagt und steckt bereits im Loch. Wer weiß, wer von uns der nächste sein wird. Wir müssen etwas unternehmen, zumal der König noch immer nichts von sich hören lässt!“
Aimeric nickte. Auf seiner Stirn standen nun ebenfalls Schweißperlen. „Ihr habt recht, Herr Elias. Noch heute abend berufe ich den Senat ein. Vidame ist ein guter Katholik. Wenn die Inquisition das Gegenteil behauptet, so lügt sie sich in den eigenen Hals in ihrer Gier!“
„Geht es um das Vermögen der Leute?“ fragte Rixende leise.
Patrice lachte sarkastisch auf. „Natürlich, Frau Fabri. Um was denn sonst“, sagte er und machte eine eindeutige Handbewegung.
„Vidame ist ein ehemaliger Konsul und hochgeachteter Steinmetzmeister“, erklärte Fabri Rixende, und man merkte seiner zittrigen Stimme an, wie sehr ihm diese Angelegenheit ans Herz ging. Er ist gebrechlich, hat die Gicht und seit Jahren ständig Schmerzen. Das Loch wird sein Ende bedeuten!“
Die Ratsversammlung war nur spärlich besucht. Der Schrecken, den die Inquisition nun auch in Carcassonne verbreitete, hatte zwei Konsuln auf der Stelle krank werden lassen, und ein weiterer hatte sich mit einer fadenscheinigen Entschuldigung gedrückt. Die Mutigen jedoch, die gekommen waren, wussten: Nach
Weitere Kostenlose Bücher