Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
Sie nahm sich vor, tapfer zu sein. Sie konnte und durfte ihren Mann nicht aufhalten, allzu wichtig war der Auftrag, den er für die Stadt Carcassonne zu erfüllen hatte.
Wie man`s des riesigen Pilgerheeres wegen
im Jubeljahr, dass jeder Durchlass fand,
zu Rom am Brucken hielt mit Weg und Stegen …
Dante, Die Göttliche Komödie
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Roma aeterna est . Schon vom sich nähernden Segler aus hatte die ehrwürdige Stadt ein prächtiges Bild geboten: gekrönt von unzähligen Türmen und schimmernden Kuppeldächern und durchzogen vom bräunlich-trüben Band des Tibers, über den sich zahlreiche Brücken spannten. Der Andrang der Pilger, die in die Lateranbasilika strömten, um den besonderen Ablass zu erlangen, der zum Jubeljahr versprochen worden war, war so groß, dass er behördlicherseits geregelt werden musste. Das Tor durch die Leonischen Mauern bei der Engelsburg war erweitert worden, der Menschenstrom über die Tiberbrücke musste in zwei Spuren geleitet werden, eine zur konstantinischen Basilika, die andere in Richtung Monte Giordano, und obendrein hatte man einen besonderen Laubengang zum Petersplatz hin errichtet. Seit man Jerusalem verloren hatte, im Jahr 1244, war es mühselig oder gar unmöglich geworden, ins Heilige Land zu pilgern, um einen Ablass zu erlangen, so dass sich jetzt alle Hoffnung auf Rom – auf Bonifatius VIII. - richtete, den geistigen Mittelpunkt des Abendlandes.
Aimeric und sein Gefolge – es befanden sich vier Franziskanermönche darunter – sahen mit Erstaunen auf die herrlich geschmückte Basilika, die die gewaltige Menschenschar gar nicht fassen konnte. Selbst Bonifatius wäre ob der riesigen Pilgerströme ratlos gewesen, so erzählten sich die Leute. Doch mit den Menschen floss zugleich Geld nach Rom, viel Geld. Rasch sprachen sich seine Bedingungen für die Erlangung des vollkommenen Ablasses herum. Außer Beichte und Kommunion war der Besuch der beiden Apostelgräber oberste Pflicht, wobei Römer sie dreißigmal an dreißig verschiedenen Tagen besuchen mussten und Fremde fünfzehnmal an fünfzehn verschiedenen Tagen.
Die Privataudienz, um die Aimeric Fabri und seine Leute nachgesucht hatten, war ihnen erst nach der Jahrhundertwende offeriert worden. Als sie an einem nasskalten Sonntag zum fünfzehnten Mal vor dem Petrusgrabmal standen, dessen gewundene Marmorsäulen von hohen Schranken umgeben waren, zog einer der ihn begleitenden Franziskanermönche Aimeric hinter eine Säule.
„Ich muss mit Euch reden, Herr Fabri. Unter vier Augen.“
„Hier? Um was geht es, Bruder Balbino?“
Balbino war ein schmaler, blasser Mann mit jovialen Zügen. Jetzt warf er einen vorsichtigen Blick auf das Gedränge ringsum, stellte sich dann so dicht an Aimerics linke Seite, dass er ihn fast berührte, senkte den Kopf mit der Kapuze, damit niemand seine Mundbewegung sehen konnte, und murmelte: „Einen besseren Ort, um miteinander zu reden, wird es in Rom für uns nicht geben. Die Herberge hat große Ohren. Das, was Euch beim Bibelstechen in der Silversternacht offenbart wurde, weiß inzwischen die halbe Stadt.“
Während ringsumher das neue Jahr mit Glocken, Pauken und Trompeten empfangen wurde, hatte Aimeric im Kreise aller Herbergsbewohner am traditionellen Silvester-Bibelstechen teilgenommen. Als er mit geschlossenen Augen die Heilige Schrift seitlich mit dem Daumen aufgeschlagen und blind auf eine Textstelle gezeigt hatte, war ein Aufraunen durch die Anwesenden gegangen. „Aber ich muss sagen: Wie bin ich so elend! Wie bin ich so elend! Weh mir! Denn es rauben die Räuber, ja immerfort rauben die Räuber“ war bei Jesaja 24 zu lesen gewesen.
Die Mönche hatten beunruhigt die Stirn gerunzelt, doch Aimeric hatte nur darüber gelacht.
„Ich verstehe“, sagte der junge Fabri jetzt leise. „Sprecht!“
„Es geht um Bonifatius. Es ist an der Zeit, dass Ihr erfahrt, dass wir Franziskaner dem Heiligen Vater nicht wohlwollend gegenüberstehen. Das hat verschiedene Gründe, die ich im Augenblick nicht alle darlegen kann. Nun habe ich aber gestern Abend von einem meiner römischen Brüder seltsame Dinge über Bonifatius gehört, die vor allem für unsere Audienz von eminenter Bedeutung sein könnten.“
„Seltsame Dinge? Was meint Ihr damit?“ fragte Aimeric beunruhigt, wobei er es vermied, den Franziskaner anzusehen.
Balbino zögerte. Erneut schaute er sich unauffällig nach allen Seiten um. Doch niemand scherte sich um die beiden hinter der Säule.
„Ihr seid kein Mann der
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