Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
die Seele zagen,
der ihr zu schaden Waffen hat und Macht ...
Dante , Die Göttliche Komödie
Zur gleichen Zeit, im runden Turm der Justiz, in dessen Gewölbe sich - an paarweise angebrachten Haken - die Säcke aus Tierhäuten befanden, in denen die Prozessunterlagen gegen die Häretiker aufbewahrt wurden:
Der Inquisitor von Carcassonne und Albi, Nikolaus von Abbéville, ein großer, stämmiger Mann mittleren Alters, stürmte mit dem ersten Sonnenstrahl in die Zelle seines Schreibers. Nachdem er dort einige Zeit unruhig auf und ab geschritten war, fasste er einen – wie es sich bald herausstellen sollte - folgenschweren Entschluss.
„Fébus, setzt einen Brief auf, an den Prior unseres Klosters zu Albi, Fulco von Saint-Georges:
Lieber Bruder im Herrn“, diktierte er, und in seiner Stimme lag Entschlossenheit. „Wie ich von Bischof Bernhard höre, nimmt die hartnäckige Missionstätigkeit der Katharer in Albi erneut geradezu beängstigende Ausmaße an. Neben einfachem Volk sollen inzwischen auch zahlreiche Konsuln und Händler infiziert sein. Der Erzketzer Authié ist noch immer nicht gefasst. Ich sende Euch aber in der Anlage eine Aufstellung derjenigen Männer namhaften Geschlechts oder Standes, deren Missetat als ´peccatum criminale` zu bezeichnen ist, die also offenbar mit ihm oder anderen Ketzern in Kontakt stehen, selbst heimlich häretisiert sind oder die Teuflischen, aus welchen Gründen auch immer, decken. Meine Gewährsmänner bürgen für die Richtigkeit der Anschuldigungen.
Die Beschuldigten sollen auf der Stelle allesamt verhaftet und ohne Verzug in den Kerker von Carcassonne verbracht werden.
Ihr, Fulco von Saint-Georges, seid mir für die Durchführung dieses Exempels verantwortlich. Damit die Jurisdiktion gewahrt bleibt, hat der Provinzial unseres Ordens Euch mit dem heutigen Tag zu meinem Verweser ernannt. Euer Amtssitz ist zukünftig in Carcassonne. Die Bischöfe von Toulouse, Albi und Carcassonne sind bereits über diese Ernennung informiert.“
Zufrieden nickte Nikolaus von Abbéville seinem Schreiber zu. „Und sorgt dafür, Fébus, dass die Nachricht noch heute nach Albi gelangt. Bereitet auch den Kerkermeister darauf vor, dass in Kürze fünfundzwanzig Männer hier eingeliefert werden. Keine Privilegien – sagt ihm das -, auch wenn es sich um hochgestellte Persönlichkeiten handelt.“
Fébus nickte und machte sich daran, das Aufgesetzte ins reine zu schreiben. Als Dominikaner wusste er, dass nach katholischem Recht jeder Getaufte, der ein Dogma leugnet oder bezweifelt, ein Ketzer ist. Und behauptete Nikolaus von Abbéville denn nicht immer, dass bereits Gott Inquisitor war, als er Adam und Eva züchtigte?
Fulco von Saint-Georges rieb sich die Hände, als er nach der Vesper das Pergament des Inquisitors gelesen hatte. Seine Zufriedenheit hatte weniger mit seiner Ernennung zum stellvertretenden Inquisitor zu tun - damit hatte er seit längerem gerechnet – als vielleicht mit der endlich angeordneten Verhaftung bestimmter Männer. Bischof Bernhard von Castaignet hatte ihm erst wenige Tage zuvor versichert, dass die Genannten allesamt der Ketzerei überführt wären. Es gäbe ausreichende Beweise.
Der Prior stand auf, lief um den Tisch herum und trat ans Fenster. Ein Name auf der Liste machte ihm allerdings beträchtliches Kopfzerbrechen: Guilheme Calveries. Er kannte den alten Mühlenbesitzer persönlich, ihn, seine Frau und seine beiden bereits erwachsenen Söhne und ihre Familien. Untadelige Leute allesamt, eng mit dem Kloster verbunden. Mehrmals im Jahr brachten die Calveries Säcke voller Korn für die Armen, und sie spendeten auch reichlich Geld. Und nun stand sein Name auf der Liste der Ketzer. Wie hatte es geschehen können, dass Calveries den Häretikern verfiel? Und was konnte er, Saint-Georges tun, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen? Dominikus von Caleruega kam ihm in den Sinn, der Ordensgründer, der auf eine andere Weise die Katharer hatte bekehren wollen, die so sehr die Ordnung der Heiligen Römischen Kirche störten: mit ruhigem, friedlichem Gespräch von Mann zu Mann; Überzeugung, keinesfalls Gewalt, mit vorbildlichem, asketischem Leben, gleich den katharischen parfaits . Nun ja, dachte Saint-Georges, und er verzog ein wenig spöttisch den Mund, Dominikus in allen Ehren, er hatte es gutgemeint, doch den Menschen das Evangelium predigen in härenen Kutten und Sandalen, wie lächerlich! Die Zeiten waren andere geworden, dem Herrn sei Dank. Zwar erzählte
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