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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Kapitel 1
    25. Tag des Lenzmonats, 1486 a.d.
    Verkündigung des Herrn

    Judex crederis esse venturus
    In te, Domine, speravi
    Non confundar in aeternum
    Salvum fac populum tuum
    Judex crederis
    » Gott der Herr blickt auf diese Stadt «, brüllte der Mönch. »Und Gott weint !«
    Die Anzahl seiner Zuhörer war beträchtlich. Er stand in taktisch günstiger Position gleich außerhalb des Hauptportals der Sankt-Andreas-Kirche mitten in der Vorstadtgasse, und alles, was es gebraucht hatte, um die Zuhörermenge zu bannen, waren ein paar Dutzend Neugierige, die stehen blieben und die Eingänge der nächstgelegenen Gassen verstopften. Dafür, dass es Neugierige gab, hatte der Mönch gesorgt: Er stand auf einer schwankenden Staffelei, die von zwei Chorknaben aus dem Dom nur mangelhaft stabilisiert wurde; und als die ersten Messbesucher ins Freie gestrebt waren, hatte er sich die Kutte bis zum Bauchnabel aufgerissen und laut zu kreischen begonnen wie einer, der auf dem Scheiterhaufen steht und merkt, dass das Ganze kein Spaß mehr ist.
    Die Leute blieben stehen und gafften. Die Nachfolgenden strömten aus der Kirche und drängten die Gaffer beiseite, aber da diese ihr Recht zu gaffen behaupteten und sich gegen den Andrang wehrten, wurde aus der Menge bald ein unentwirrbarerKnäuel Leiber, der Schimpfwörter und Flüche absonderte und ganz allgemein die Energie für eine baldige Prügelei ansammelte.
    Friedrich von Rechberg und ich waren mittendrin.
    »Das muss dieser Kapuzinermönch aus Italien sein«, schrie ich Rechberg ins Ohr. »Er hat sich durch das ganze Reich bis hierher gepredigt und soll seit einer oder zwei Wochen beim Kardinal leben. Fryderyk Jagiello hat scheinbar einen Narren an ihm gefressen.«
    »Und was predigt er?«, schrie Rechberg zurück.
    »Die frohe Botschaft der Christenheit …«
    »Gott der Herr weint bittere tränen !«, donnerte der Mönch.
    Die Gesichter der Menschen um uns herum wirkten in der Mehrzahl ungeduldig. Die meisten wandten die Köpfe, um nach einem Ausweg aus der Menge zu suchen; ein paar Glückspilze am Rand schafften es, sich abzusetzen. Sie hatten bis gerade eben eine Stunde lang den Rücken des Priesters der Sankt-Andreas-Kirche betrachtet, dessen Eigenart es war, die Messe flüsternd zu halten und selbst die Wandlung mit so sparsamen Bewegungen auszuführen, dass ein unaufmerksamer Beobachter ihn für eine lebensgroße Heiligenfigur halten konnte – sie hatten, selbst wenn sie mir in all den Jahren meines Hierseins gläubiger und ernsthafter erschienen waren als die Bewohner der Städte des Deutschen Reichs, für heute einfach genug von unverständlichen Predigten.
    »Wieso spricht der Bursche in Latein?«, fragte Friedrich von Rechberg. »Ich dachte, hier spricht man entweder deutsch oder polnisch?«
    »Auf Latein hört sich selbst Gegeifer edel an.«
    »Der Herr sieht die gottesfürchtigen Menschen in dieser Stadt«, schrie der Mönch. »Er sieht die fleißigen Handwerker, von deren Tagwerk die Gassen widerhallen; er sieht die treuen Schreiber, die den Reichtum des Landes aufzeichnen; er sieht die kräftigen Baumeister, die den Ruhm der Stadt in Stein meißeln und in die Höhe bauen; er sieht die ehrlichen Dienstboten und die tapferen Scharwächter und die eifrigen Gesellen und die besorgten Betbrüder und die aufopferungsvollen Magister an der Universität und ihre klugen Studenten …«
    »Komm zur Sache!«, rief jemand in der Menge, der den Prediger offenbar verstand. Spärliches Gelächter ertönte. Den meisten war nicht klar, worauf der Schreihals anspielte.
    »Schmeißt ihn von der Leiter!« Jetzt kamen die Zwischenrufe auf Polnisch und ernteten bedeutend mehr Aufmerksamkeit im Publikum. Die deutschsprachige Oberschicht verschmähte die Sankt-Andreas-Kirche, wenn es darum ging, sich mit Gott in Verbindung zu setzen; sie hing der Ansicht an, dass Gott sie in der Marienkirche besser vernahm. Wer hierher zum Beten kam, gehörte zu den Handwerkszünften oder zum Dienstpersonal in den Häusern der ausländischen Gesandten im südlichen Teil der Vorstadtgasse und war von reiner polnischer Abstammung.
    »Oder hängt ihn daran auf.«
    »Dann hätten wir wenigstens eine Entschädigung!«
    Noch lauteres Gelächter.
    »Wenn du bis zum Mittag nicht fertig bist, tun wir’s!«
    »Eine Entschädigung wofür?«, fragte Rechberg.
    »Die Hinrichtung auf dem Marktplatz«, sagte ich.
    »Ah ja … der Gesetzlose, der die Tochter des Kürschners geschändet und erschlagen hat …«
    »Ein

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