Robinson Crusoe
westwärts an dem Ufer entlang zu gehen, um mich nach einer Bucht umzusehen, wo ich meine Fregatte in Sicherheit bringen und von wo ich sie wieder holen könnte, wenn ich sie brauchte. Als ich ungefähr drei Meilen an der Küste entlang gewandert war, kam ich zu einer sehr guten Bucht, die eine Meile tief war und immer schmäler wurde, bis sie sich zu einem kleinen Fluß verengte. Dies war ein vortrefflicher Hafen für mein Boot, und hier konnte es wie in einem eigens hergerichteten Dock liegen. Ich holte es also herbei, brachte es in Sicherheit und ging dann an die Küste, um mich umzusehen, wo ich wäre.
Ich sah bald, daß ich mich nicht weit von der Stelle befand, wo ich zuvor gewesen, als ich zu Fuß nach dieser Küste gewandert war. So nahm ich nur mein Gewehr und meinen Schirm aus dem Boot, denn es war glühend heiß, und machte mich auf den Weg.
Nach einer Fahrt, wie ich sie hinter mir hatte, war es angenehm zu gehen, und ich erreichte am Abend meine Laube, wo ich alles vorfand, wie ich es verlassen hatte; denn ich hielt sie immer in guter Ordnung, da sie, wie gesagt, mein «Landhaus» war.
Ich stieg über den Zaun und legte mich in den Schatten, um auszuruhen, und ich war so müde, daß ich sogleich einschlief. Aber ein jeder, der meine Geschichte gelesen hat, mag sich vorstellen, wie sehr ich erschrak, als ich durch eine Stimme aufgeweckt wurde, die rief: «Robin. Robin, Robin Crusoe, armer
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Robin Crusoe! Wo bist du, Robin Crusoe? Wo bist du?
Wo bist du gewesen?»
Ich hatte, übermüdet durch das viele Rudern und den Marsch, bis in den Tag hinein geschlafen, so daß ich zuerst nicht völlig erwachte, sondern zwischen Wachen und Schlaf gleichsam träumte, daß jemand zu mir spräche.
Aber als die Stimme immer wieder «Robin Crusoe, Robin Crusoe!» rief, wurde ich schließlich ganz munter. Im ersten Augenblick war ich furchtbar erschrocken und erhob mich in der größten
Bestürzung. Aber sobald ich die Augen aufschlug, sah ich meinen Papagei oben auf der Hecke sitzen und wußte sofort, daß er zu mir gesprochen hatte; denn eben in diesem kläglichen Tonfall hatte ich ihn das Sprechen gelehrt, wobei er auf meinem Finger zu sitzen und seinen Schnabel an mein Gesicht zu legen pflegte und dann sein «Armer Robin Crusoe, wo bist du?»
schrie oder andere Worte, die ich ihm beigebracht hatte. Obwohl ich wußte, daß es mein Papagei war und niemand anders, dauerte es doch eine ganze Weile, bis ich mich wieder faßte, und ich begriff nicht, wie das Tier gerade hierherkam. Schließlich aber fand ich mich darein, daß es nur mein ehrlicher Poll und niemand anders war, und als ich meine Hand ausstreckte und ihn bei seinem Namen rief, kam das gesellige Tier zu mir, setzte sich auf meinen Daumen, wie er es zu tun pflegte, und schwatzte weiter zu mir:
«Armer Robin Crusoe» und «Wie kam ich hierher?» und
«Wo bin ich gewesen?», gerade als wenn er außer sich
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vor Freude sei, mich wiederzusehen. Und so trug ich ihn mit mir nach Hause.
Ich war nun des Herumfahrens auf dem Meer für eine Weile satt und hatte Zeit genug, um einige Tage still zu sitzen und über die ausgestandene Gefahr nachzudenken. Ich hätte das Boot sehr gerne wieder auf meiner Inselseite gehabt, wußte aber keinen Rat dazu. Was die Ostseite der Insel betraf, um die ich ja herumgefahren war, so wußte ich nun zur Genüge, daß ich mich dort nicht wieder hingetrauen durfte; bei dem bloßen Gedanken daran sank mir das Herz und fror mir das Blut in den Adern. Und was die andere Seite der Insel betraf, so wußte ich nicht, wie es dort aussah; angenommen jedoch, die Strömung liefe dort mit der gleichen Stärke wie im Osten, so drohte mir auch da wieder die Gefahr, mitgerissen und von der Insel weggetrieben zu werden. Infolge dieser Erwägungen fand ich mich damit ab, das Boot aufzugeben, obwohl es mich so viele Monate Arbeit gekostet hatte, es anzufertigen, und soviel Mühe, es auf See zu schaffen.
In solcher Gemütsruhe verharrte ich fast ein Jahr und lebte, wie man sich denken kann, sehr still und einsam vor mich hin. Und da ich meine Lage nun sehr gefaßt ansah und mich ganz in den Willen der Vorsehung ergab, so fühlte ich mich wirklich recht glücklich. Nur der Umgang mit Menschen fehlte mir.
Mittlerweile übte ich mich in allerlei Handwerk, und ich glaube, ich wurde zur Not ein ganz guter Zimmermann, besonders wenn man bedenkt, wie wenig Werkzeug ich hatte. - Überdies brachte ich es zu einer unerwarteten Vollkommenheit in
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