Rolf Torring 008 - Das Auge Buddhas
1. Kapitel
Barrington als Geisterseher
„Meine Herren, ich habe Sie zu mir gebeten, um mit Ihnen eine Sache zu besprechen. Ich weiß zwar schon jetzt, daß Sie mich auslachen werden, doch versichere ich Ihnen, daß sich alles so verhält, wie ich es erzähle. Zuvor jedoch eine Frage: Glauben Sie an Geister?" „Nein, lieber Barrington, Geister gibt es nicht", entgegnete mein Freund lächelnd.
„Diese Antwort habe ich von Ihnen erwartet, Mister Torring. Aber Sie werden vielleicht später doch anderer Ansicht sein, wenn Sie meine Geschichte gehört haben. Ich habe auch nie an Geister, an Spuk und dergleichen geglaubt, bin jedoch heute im Zweifel, ob es nicht doch etwas zwischen Himmel und Erde gibt. Sie sehen, ich drücke mich schon ganz vorsichtig aus, doch -" „Lieber Barrington, wozu die lange Vorrede? Fangen Sie an zu erzählen! Sie haben uns neugierig gemacht, und wir möchten nun gern Ihre Geschichte hören, die sehr wahrscheinlich von - Geistern und Spuk handeln wird." Lächelnd nickte mein Freund dem Kommissar zu. Wir hatten den Kommissar Barrington aus einer gefährlichen Lage erretten können, als er im Kampf mit einer chinesischen Bande gefangengenommen worden war, und hatten in ihm einen Menschen kennengelernt, der uns auf den ersten Blick sehr sympathisch gewesen war. Barrington war ein Mann, der vor nichts zurückschreckte und von seinen Taten nicht viel Aufhebens machte. Er blieb stets der bescheidene Mensch, der nur seine Pflicht kannte. Er hatte uns eingeladen, ihn am Abend in seinem Bungalow, der außerhalb der Stadt Singapore lag, zu besuchen. Daß er etwas auf dem Herzen hatte, ahnten wir, denn seine Andeutungen ließen das vermuten. Daß er uns jetzt mit Geister- und Spukgeschichten kam, enttäuschte uns ein wenig.
Barrington zündete sich umständlich seine erloschene Zigarre wieder an. Bei dieser Beschäftigung beobachtete ich ihn eingehend. Ich stellte fest, daß seine Gedanken nicht bei dem Gegenstand, also bei der Zigarre, waren, sondern weit fort. Ja, er ließ sogar das erloschene Zündholz zu Boden fallen, was er sonst nie tat. Barrington war ein ordnungsliebender Mensch.
„Ja, meine Herren, ich weiß wirklich nicht, wo ich beginnen soll. Die Sache betrifft nur mich und liegt schon ziemlich weit zurück. Ich habe die Geschichte ,Das Auge Buddhas' benannt."
Gedankenverloren blickte der Kommissar über die Brüstung der Veranda in den herrlichen Vorgarten, in dem es in allen Farben leuchtete. Barrington beschäftigte sich nämlich in seinen Mußestunden viel mit der Blumenzüchterei.
Wir warteten geduldig, daß er fortfahren würde. Er strich sich jetzt mit der rechten Hand durch das Haar und zuckte schließlich die Achseln. Seine Zigarre war schon längst wieder ausgegangen.
„Ja, das ,Auge Buddhas'", sagte er nickend. „Sie glauben nicht, wie viele schlaflose Nächte es mir schon bereitete. Ich wollte bereits meinen Dienst aufgeben und Singapore verlassen. Und das alles um einen Edelstein, den ich vor einem Jahr unter merkwürdigen Umständen fand. Der Stein lag hier auf dem Tisch, als ich eines Morgens auf die Veranda hinaustrat."
Barrington machte abermals eine Pause. Rolf blickte mich lächelnd an. Noch war Barrington nicht auf den Kern der Sache zu sprechen gekommen. Ich gewann den Eindruck, es falle ihm schwer, uns den wahren Sachverhalt mitzuteilen. Wieder warteten wir geduldig. Endlich begann er erneut zu sprechen:
„Es war also vor einem Jahr, meine Herren. Ich hatte diesen Bungalow von einem Engländer erworben, der Singapore verlassen wollte, um nach London zurückzukehren. Das Haus war ein Jahr zuvor erbaut worden, und wie Sie sehen, befindet es sich heute noch in gutem Zustand. Da mein Beruf sehr aufreibend ist, bin ich Junggeselle geblieben. Die Wirtschaft leitete mir damals eine Frau, die des Morgens kam und gegen Abend wieder ging. Ich erwähne das alles, damit Sie sich ein klares Bild von meinem Leben machen können.
Ein junger Polizist, Tellwan, war mir als Bursche und Hilfskraft zugeteilt worden. Tellwan schlief ebenfalls hier im Hause, ich hatte ihm eine kleine Kammer neben der Küche eingerichtet. Mir war das ganz lieb, denn als Gegner der Unterwelt Singapores allein in einem Hause zu schlafen, ist kein angenehmes Gefühl. Tellwan war ein kluger und intelligenter Mensch. Er war in meinem Hause ,Mädchen für alles'. Ihm machte es nichts aus, ob er mich des Nachts auf meinen Streifzügen als verkleideter Chinese begleitete oder das Haus reinigte, er tat
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