Rolf Torring 073 - Der Würger
Felswand übertönt.
Während wir uns den etwa fünfzig Meter hohen Felsen näherten, dachte ich an Norton. Der arme Vater verdiente Mitleid: sein achtzehnjähriger Sohn und seine sechzehnjährige Tochter, bei deren Geburt die Mutter ihr Leben hingegeben hatte, waren spurlos verschwunden. Sofort stand Norton das Geschick der anderen jungen Menschen vor Augen, die in den letzten Monaten einen furchtbaren Tod von unbekannter Hand gefunden hatten. Erdrosselt hatten sie irgendwo am Meer oder anderswo gelegen.
Bald hieß der Täter in der ganzen Stadt der „Würger"! unheimlicher und treffender hätte er kaum bezeichnet werden können.
Henry Norton hatte unser Abenteuer in Haidarabad gelesen und sofort eine dringende Depesche abgeschickt, die uns kurz vor unserer Abreise erreichte. Wir wollten auf jeden Fall die Ostküste Vorderindiens aufsuchen, und so waren wir dem verzweifelten Rufe gefolgt und am späten Nachmittag in Vizagapatam eingetroffen.
Im Bahnhofshotel hatten wir Zimmer genommen, dann rief Rolf den unglücklichen Vater an. Norton beschwor uns, bis zum Abend zu warten, er wollte uns die Geschichte so unauffällig wie möglich erzählen.
Er fühlte, daß er beobachtet wurde, und trotz seiner anerkennenswerten Vorsicht wären wir doch durch seinen Aufseher Rhasu belauscht worden, wenn Pongo nicht mit seinem feinen Gehör bemerkt hätte, daß sich ein Lauscher nahte.
Vielleicht schwebten die Kinder Nortons schon in höchster Gefahr, wenn die erbarmungslosen Mörder wußten, daß wir uns mit der Sache befaßten. Leider hatten die Zeitungen Indiens in letzter Zeit unsere Abenteuer und die Dienste, die wir der britischen Regierung geleistet hatten, fast täglich in großer Aufmachung gebracht.
Die Leute, denen wir ihre Opfer entreißen wollten, waren sehr gefährlich, wenn unsere Mutmaßungen über sie richtig waren. Das mußte sich erst zeigen, aber mir wäre es — offen gestanden — lieber gewesen, wenn sich unsere Vermutung als falsch herausstellen würde.
Ich schreckte aus meinen Gedanken, die sich gerade mit dem „Würger" beschäftigten, empor, denn wir hatten die schroff aufragende Felsenwand erreicht. Pongo fuhr jetzt langsam dicht an ihrem Rand entlang.
Der Mond stand hinter der Felswand. So befanden wir uns in tiefem Schatten. Einerseits war das ein Vorteil, denn wir konnten nicht so leicht entdeckt werden, andererseits entgingen uns sicher manche Höhlen und Risse, denen wir bei Tageslicht mehr Beachtung geschenkt hätten.
Immerhin gewöhnten wir uns rasch an die Dunkelheit, besonders Pongo würde kaum etwas Auffälliges entgehen. Vor allem mußten wir darauf achten, ob wir das Boot entdeckten, in dem Rhasu und sein Begleiter geflohen waren.
Die Hälfte des Nordrandes waren wir bereits entlanggefahren. Ich begann schon etwas mutlos zu werden, denn es schien mir ausgeschlossen, daß wir in der Dunkelheit den Schlupfwinkel der Mörder finden würden. Sicher waren schon oft Boote am Tage hier entlanggefahren, vielleicht sogar die Polizei — und nie war etwas entdeckt worden. Sollten wir da in dunkler Nacht etwas finden?
Schon wollte ich Rolf leise sagen, daß unser Suchen doch gar keinen Zweck haben würde, da raunte Pongo fast unhörbar:
„Achtung, Massers! Licht in der Höhle!" Wir befanden uns vor einem mäßig hohen, breiten Einschnitt der Felswand Im Hintergrunde der dunklen Höhle, vielleicht dreißig Meter entfernt, war sekundenlang ein kleines Licht aufgeflammt, wie der Schein einer abgeblendeten Taschenlampe, die sofort wieder ausgeschaltet worden war.
Hier war es nicht geheuer, denn wer sollte sich jetzt in der Nacht mit ehrlichen Absichten in der Höhle, fern der Stadt, aufhalten? Anscheinend hatten wir Glück und durch eine Unvorsichtigkeit der gesuchten Mörder ihren Schlupfwinkel gefunden.
Ich freute mich über die Unvorsichtigkeit, ahnte aber nicht, wie raffiniert und gefährlich unsere Gegner waren. Rolf gab ganz leise das Kommando, in die Höhle hineinzufahren. Wir hatten die Pistolen gezogen und entsichert. Wir wußten, daß wir großen Gefahren entgegengingen. So achteten wir auch auf das geringste Geräusch, während Pongo leise das Boot wendete und in die düstere Öffnung hineinfuhr.
Sobald wir uns in der Höhle befanden, ruderte Pongo nicht weiter, sondern ließ das Boot ruhig vorwärtstreiben.
Wir mußten uns erst überzeugen, ob nicht dicht hinter dem Eingang
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